Technikfragen (Handhabung)
Wie umgehen mit Neugeborenen und Säuglingen? Automatisch wird auf familiäre und persönliche Erfahrungen zurückgegriffen, eine intuitive Pflege; manchmal ist das ein sehr pfiffiges Wissen – manchmal nicht ganz so aktuell. Immer gibt es ein Learning by Doing und dabei handeln die Eltern bei jedem weiteren Kind anders, weil jedes Kind mit seiner Persönlichkeit und seinen Wünschen die Eltern maßgeblich neu steuert. Dieses systemische Wissen innerhalb der Familie macht Eingriffe von außen durch sogenannte Expert:innen oft schwierig. Systeme sind klug und nicht immer verstehen wir oder die anderen, warum etwas so und nicht anders gemacht wird.
Handhabung
Für Frühchen, reife Neugeborene und Säuglinge gibt es geschickte Techniken des Drehens, Hochnehmens, Tragens, Beruhigens und Fütterns. Physiotherapie, Logopädie und Kinderpflege haben wunderbare Methoden selbst zur Pflege schwer irritierter und schreckhafter, neurologisch kranker Kinder entwickelt. Dieses implizite Wissen findet sich nur in wenigen Kliniken, bei erfahrenen Säuglingsschwestern und wenigen Fachleuten.
Wickeln
Je jünger das Kind ist, umso langsamer sollte gewickelt werden, denn das kognitive Tempo des kleinen Wesens sollte mitkommen. Die Verlangsamung der Mütter bei der Körperpflege ist wichtig, sonst werden die Kinder unruhig. Wickeln ist Kommunikation und Nächstenliebe, es dient nicht nur der Sauberkeit.
Sicher darf man verschiedene Wickelwege gehen: Stoffwindeln, teure Pampers, günstige Discounterwindeln, ausschließlich oder gemischt. Man kann abhalten und putzen oder zügig und kleckerfrei die Mülltonne mit Einmalartikeln befüllen. Man kann mit warmem Wasser und Waschlappen den Po putzen oder mit Feuchttüchern und Öl. Man kann einen Klecks Creme zuletzt benutzen oder ganz und gar nichts außer Wasser. Man kann täglich Baden mit Spaß und gutem Geruch oder allenfalls einmal pro Woche, weil das Kind wasserscheu ist oder man Baden für obsolet hält. Nur Puder darf man zu Recht nicht mehr verwenden, weil Puderstaub die Lungen schädigen kann. Allergien auf Pflegeartikel sind tatsächlich sehr selten.
Angesichts zahlreicher Stürze von Säuglingen vom Wickeltisch ist unbedingt für Sicherheit zu sorgen: also alles dahaben, nicht weglaufen müssen (Herd, Handy, Geschwister) und nicht einschlafen vor lauter Müdigkeit.
Ab dem zweiten Lebensjahr sind Unfälle die Haupttodesursache von Kindern (Verkehrsunfall, Stürze, Strangulation, Ertrinkungsunfälle, Verbrennungen).
Fieber messen
Die Körpertemperatur wird sicher im Enddarm mittels Thermometer bestimmt; hier ist sie auch am höchsten. Bereits mit fünf bis sechs Monaten kann das bei sehr lebendigen Kindern mit raschem Drehen schwer werden. Ab dem zweiten Lebensjahr und der Sauberkeitserziehung sollte man ganz davon lassen (außer falls medizinisch nötig). Bis 37.9 °C Temperatur ist kein Fieber, über 39.5 °C ist hohes Fieber, über 41.5 °C gilt als kritisch (zur Ärztin / zum Arzt gehen).
Alternativen später sind Messgeräte für den Mund (‒ 0,5 °C), das Ohr (sehr unsicher) oder die Stirn (auch unsicher). Die moderne Elektronik führt häufig zum Phänomen der Untertemperatur und das Internet weiß von höchster Gefahr für Leib und Leben. Meist aber ist es ein Gerätedefekt oder ein Anwendungsfehler.
Handauflegen auf den Bauch geht im Alltag der Eltern (und der Kinderärztin / des Kinderarztes) erstaunlich gut – viele Familien haben kein Thermometer. Die Wissenschaft wird beweisen, dass diese Methode (in Einzelfällen) zu unsicher ist.
Fieberzäpfchen geben
Geben Sie in den ersten Monaten nur Paracetamol. Die Technik ist gewöhnungsbedürftig, denn das Zäpfchen muss durch den Schließmuskel durchgeschoben werden, sonst schreit das Kind und das Zäpfchen kommt zurück. Viele Eltern nehmen den kleinen Finger, manche Creme, etliche wollen das gar nicht machen.
Saft oder Tropfen geben
Der Mund eines Neugeborenen und jungen Säuglings lässt sich ohne Gegenwehr gut passiv öffnen: entweder sanfter Druck auf das Kinn oder auf beide Wangen drücken und eine Schnute machen – immer gibt es gut Platz für den kleinen Löffel mit was auch immer. Ist der Saft im Mund, so wird ins Gesicht gepustet – und jedes Kind muss schlucken. Fremdstoffe werden vom Säugling oft sehr geschickt wieder nach draußen befördert. Ganz anders bei Kleinkindern! Neben dem „braven“ Kind, das alles schluckt, was auf den Löffel kommt, imponiert der Typ des stolzen Verweigerers, der sich windet und kämpft, als ginge es ums Leben. Bei wichtigen Medikamenten (wie Antibiotika) entsteht elterliche Gewalt mit Tränen in den Augen. Die Gedankenlosigkeit der Pharmaindustrie und der Kassen angesichts übel schmeckender Säfte (zum günstigen Preis) ist ein Skandal. Manchmal hilft das Einrühren in süße Joghurts oder Obstmuse, was man eigentlich nicht machen soll, manchmal hilft nichts.
Augentropfen geben
Bei Konjunktivitis (Bindehautentzündung) wird mehrfach täglich die Gabe geeigneter Augentropfen nötig. Die Tropfflasche wird bei Säuglingen von oben neben den Nasenrücken gehalten und die Tropfen sollen ins Auge fließen. Die antibiotikahaltigen Augentropfen brennen nicht, die Augen können sogar geschlossen sein. Das Einträufeln in den Konjunktivalsack (Bindhautsack) ist bei Kleinkindern fast unmöglich. Muttermilch und Euphrasia helfen öfters nicht gut bei bakterieller Konjunktivitis und Kamillentee schadet sicher.
Ohren putzen
Lange galt Ohrenputzen als verpönt, eine verantwortungsvolle Maßnahme für Hals-Nasen-Ohren-Ärzt:innen. Inzwischen sind die Termine ausgegangen und die Ohren gehören weiterhin geputzt. Die Ohrendusche mit warmem Wasser ist selbst für ältere Kinder eine Herausforderung. Es bewährt sich, zuerst den Gehörganginhalt mit Seifenlösung gut einzuweichen. Dann eine Papiertaschentuchecke zu einer Spitze drehen und wie ein Schraubenzieher im Gehörgang drehen. Dies wiederholen. Das Trommelfell kann nicht verletzt werden, das Ohrschmalz wird nicht zum Pfropf zusammengeschoben und Schmerzen entstehen auch nicht. Manche Kinder wollen trotzdem nicht.
Wie mit Fieber umgehen?
Fieber beim Neugeborenen ist selten und immer ein Grund, in die Arztpraxis zu gehen. Auch bei schweren Infektionen in den ersten Lebensmonaten ist Fieber nur manchmal und keineswegs immer vorhanden; eher Untertemperatur.
Fieber ist zuerst einmal eine sinnvolle Reaktion. Man kann und sollte Fieber bis 39,5 °C bei älteren Säuglingen einigermaßen gelassen hinnehmen. Bei Temperaturen über 40 °C wird der Kreislauf sehr beansprucht und die meisten Kinder leiden – also Fiebersaft oder Zäpfchen. Der Stellwert des Temperaturzentrums wird durch die Medikamente wieder auf 37 °C heruntergeregelt. Nun lässt sich die überschüssige Hitze des Körpers abführen, also Kind aufdecken und kühlen – das wird meist als angenehm empfunden. Kühlung ohne Zäpfchen dagegen erschwert es dem Kind, die vom Temperaturzentrum gewünschte Solltemperatur zu erreichen, und wird als sehr unangenehm wahrgenommen. Wadenwickel also nicht ohne bzw. statt Zäpfchen, sondern erst nach dem Zäpfchen oder Saft.
Ibuprofen und Paracetamol gelten statistisch als gleichwertig. Im Einzelfall gibt es klare Paracetamolkinder und Paracetamolversagerkinder, analog bei Ibuprofen. Paracetamol wird über die Leber verstoffwechselt und hat eine geringe therapeutische Breite – also Vorsicht mit Vergiftungen und vor allem den Paracetamolsaft gut vor Kindern schützen. Ibuprofen wird über die Nieren abgebaut und der Körper ist weniger empfindlich bei zu viel. Neugeborene sollen kein Ibuprofen erhalten.
Zahnen macht in aller Regel kein Fieber (und erklärt auch keine unklaren Schmerzen). Zahnen ist eine historische Zuschreibung, die leider häufig wichtige Diagnosen verzögert. Fieber führt auch nicht zu irgendwelchen positiven Schüben und ist wahrscheinlich nicht notwendig für das Immunsystem.
Urin sammeln
Bei Früh- und Neugeborenen kann man durch sanftes Klopfen auf den Unterbauch mit etwas Geduld sogar einen sauberen Mittelstrahlurin gewinnen. (Utensilien wie Beutel und Becher gibt’s in der Kinderarztpraxis.) Neugeborene Jungen können ziemlich weit pinkeln und mit überraschenden Richtungswechseln!
Optimale Vorbereitung bei älteren Säuglingen ist es, das Kind zu baden, danach gut abzutrocknen und den Urinbeutel über das Genitale zu kleben. Nach ein bis zwei Stunden ist meist etwas drin, dann Beutel abnehmen, an einem Zipfel aufschneiden und Urin in den Becher mit Schraubverschluss tropfen lassen, dann gleich in die Praxis bringen.
Wir untersuchen sowohl mit U-Stix als auch unter dem Mikroskop und machen vor jeder antibiotischen Behandlung eine Kultur. Nach wenigen Tagen lässt sich der Keim benennen und ein Antibiogramm ist vorhanden. Bleibt ein Keim resistent (ca. 20 % der HWI), so kann die Therapie präzise angepasst werden. Außer bei Neugeborenen gelten Keimzahlen von 100.000 und mehr als weitgehend sicherer Hinweis auf eine Infektion.
Stuhl verschicken
Mit dem kleinen Löffelchen des Stuhlröhrchens ein Stück Stuhlgang aufnehmen und ins Röhrchen zurück. Das Stuhlröhrchen kommt in den Transportbehälter, der in das Paket und das in den Briefkasten der Post. Alles ist fertig beschriftet und frankiert. Wenig reicht – Röhrchen nicht voll machen.
Bei älteren Kindern, die bereits eine Toilette benutzen, wird der Abfluss mit Toilettenpapier ausgelegt, um den Stuhl zu gewinnen.
Impfen
Es lohnt sich, die Impfstrategie und Technik als Eltern zu verstehen. Impfungen gelten in der gesamten Wissenschaft und weltweit als besonders wirksam und vielfach lebensrettend. Die Kinderimpfungen verringern messbar die Kindersterblichkeit – nicht nur ein wenig. Für die Impfungen haben wir eine umfassende Impfbroschüre entwickelt.
Trotzdem legen wir Wert darauf, dass die Eltern über die Impfungen selbst entscheiden. Falls, aus welchem Grund auch immer, eine oder alle Impfungen abgelehnt werden, ist das eine Beratung wert, aber dann okay. Kinder ohne Impfungen haben ein erhöhtes Risiko, an schweren Infektionen zu erkranken, und stellen ein Risiko für Dritte dar.
Die erste Säuglingsimpfung kann in seltenen Fällen einen ersten Krampfanfall auslösen und in die schwere Epilepsieform des Dravet-Syndroms hinüberführen; betroffene Kinder erleiden viele und lange Krampfanfälle und werden mehrfach behindert. Dann hat also eine erste Impfung eine anhaltende und schwere Krankheit gestartet oder losgetreten. Inzwischen wissen wir, dass die Krankheit auch ohne Impfung entstehen würde, nur etwas später. Die Impfung gilt nicht mehr als Ursache des Dravet-Syndroms; vielmehr handelt es sich um eine genetisch präzis definierte Kanalkrankheit in Hirnnervenzellen, einer Instabilität der Nervenzellmembranen mit spontanen Spannungsschwankungen.
In der Praxis impfen wir nicht bei Infekten, da nachfolgende Komplikationen nicht mehr klar zugeordnet werden können. Nach der Impfung soll bereits bei leichtem Fieber über 38 °C ein Zäpfchen gegeben werden. Wir wollen kein unnötiges Risiko. Keine Impfungen abends oder an einem Freitag – vor allem nicht bei Säuglingen.
Die Säuglingsimpfungen erfolgen in die Oberschenkel rechts und links, die Sechsfachimpfung zuerst, da weniger schmerzhaft, dann die Pneumokokken (sehr schmerzhaft). Die Impfung geht tief in den Muskel und schnell. Dann wird mit dem Säugling sachte gehüpft, bis sich das Kind beruhigt, dann ab in den Arm der Mutter.
Wahrscheinlich erinnern sich Säuglinge nicht an die Impfungen innerhalb der ersten sechs Monate – nach dem ersten Lebensjahr jedoch wird nichts mehr vergessen. Für die Mütter sind die Säuglingsimpfungen belastend.
Bereits vor 25 Jahren gab es Literatur über geschicktes Impfen und Punktieren, um Kinder nicht zu sehr in Angst und Panik zu versetzen. Im zweiten Lebensjahr kann man Kinder ablenken, im dritten Lebensjahr sollen sie laut zählen und man kann sie mit Geschichten auf die Impfung vorbereiten. Trotzdem sind in der Folge lebenslange Phobien möglich – die wichtigste Nebenwirkung des Impfens.
Stillen während der Impfung ist ein Tipp des Robert Koch-Instituts. Einige coole Mütter wollten dies ausprobieren. Nach der ersten Spritze haben sich die meisten Kinder von der Brust losgerissen, das Kind wurde reflektorisch gegen den Körper gedrückt. Für die zweite Spritze musste man das zweite Beinchen des Kindes mühsam greifen, dann erneut spritzen, dann zweimal Pflaster – im Ablauf an der stillenden bzw. tropfenden Mutter undenkbar für die meisten der mir bekannten Mütter.
Kinder mit Hühnereiweißallergie müssen nach entsprechenden Impfungen (Masern, Mumps, Röteln) 30 Minuten in der Praxis bleiben. Bislang ist in der Praxis nie eine allergische Reaktion aufgetreten.
Blut abnehmen
Die Venenpunktion ist eine Geschicklichkeitsaufgabe und je nach Venensituation schwierig. Bei Kleinkindern wird sie grundsätzlich gegen deren Willen und mit Gewalt durchgeführt. Wir wickeln die Kinder ein, manchmal sitzen sie bei den Eltern. Immer ist es ein belastendes Ereignis für alle Beteiligten. Wichtig ist die Indikation: Es muss nötig und wichtig sein. Gerade bei Epilepsiepatient:innen wird weit weniger oft Blut kontrolliert als in Beipackzetteln vorgeschlagen. Blutkontrollen zur juristischen Absicherung sind absurd.
Die modernen kleinen Helfer
Etliche Familien besitzen Gesundheitstechnik wie Stethoskop (einfach und gut lernbar), Puls- und Blutdruckmesser (für kleine Kinder meist nicht geeignet), Überwachungsmonitore (für Atmung oder EKG) oder Blutzuckermessgeräte, Urinstixe usw. Wichtig sind Einarbeitung und das Wissen, wie damit umzugehen ist. Gerade das Heimmonitoring erfordert qualifizierte Schulung, was im Notfall konkret zu tun ist. Aber auch ein Inhaliergerät oder ein Spray kann man falsch bedienen.
Das Handy kann enorm hilfreich sein, um Anfälle oder kurzfristige Hautveränderungen und Leistenbrüche eindeutig als Film oder Bild zu dokumentieren. Wir können und sollten es nutzen.
Schulungen
In verschiedenen Ländern werden etliche Schulungen angeboten: das richtige Stillen, Ernährungskurse, sicheres Schlafen, Unfallvermeidung, Notfalltherapie, Asthmatherapie, Diabetesschulung, Epilepsieschulung. Die Wirksamkeit der Schulungen und deren Qualität ist meist ungesichert. Die Praxis setzt bei manchen Krankheiten auf erfahrene Eltern, die bereit sind, ihr Wissen mit neu betroffenen Familien zu teilen. Diese Form der Schulung, bzw. der Selbsthilfe, bewährt sich außerordentlich.