Entzündliche und degenerative Hirnerkrankungen und Durchblutungsstörungen (Neurologie)
Autoimmunentzündungen des Gehirns (Autoimmunencephalitis)
Diese Krankheitsgruppe kommt in jedem Alter vor und wird immer häufiger diagnostiziert. Noch vor 30 Jahren war sie weitgehend unbekannt. Inzwischen kennen wir Autoantikörper gegen Nervenzelloberflächen, Synapsen, Transmitter, Gefäße, Bindegewebe des Gehirns und Nervenscheiden. Oft infolge von Virusinfekten oder entzündlichen Erkrankungen treten die Antikörper auf und verursachen neurologische Störungen wie Bewegungsstörungen, kognitive Einbußen, Verhaltensstörungen, Psychosen, epileptische Anfälle, Lähmungen, Kopfschmerzen oder Sehstörungen. Das EEG als Instrument der Funktionsdiagnostik der Hirnrinde zeigt recht zuverlässig Störungen an, das MRT bleibt anfangs öfters unauffällig. Die Antikörpersuche kann im Blut oder erst im Liquor (Hirnwasser) gelingen. Typische Auslöser der Autoimmunphänomene sind Herpesviren, Enteroviren, Epstein-Barr, Bakterien wie Mykoplasmen und Tumoren wie Lymphome und Teratome. Die Diagnostik gelingt meist nur in großen Zentren. Ein Teil der plötzlich auftretenden schwersten Epilepsien wird hierdurch erklärt, manchmal hilft Immuntherapie, manchmal versucht man eine Operation. Etliche Antikörper lassen sich bereits definierten Krankheitsverläufen zuordnen.
Neurodegenerative Krankheiten
Biochemische oder genetische Defekte können zur schrittweisen Zerstörung neurologischer Funktionen wie Sehen, Hören, Sprechen, Motorik, Verhalten, Denken oder Erinnern führen. Der Beginn dieser schweren Krankheitsbilder kann harmlos scheinen, fehlinterpretiert werden. Manche der Krankheiten lassen sich inzwischen durch Medikamente behandeln, weil man die komplexen Stoffwechselwege nun versteht, andere nur durch Knochenmarkstransplantation, weil man um die Unerbittlichkeit der Erkrankung weiß. Die Begleitung der Kinder und ihrer Familien auf diesem schweren Weg war vormals Aufgabe von Kinderkliniken und Kinderneurologien, inzwischen erfolgt eher die häusliche Betreuung mit Palliativteams oder die Versorgung im Hospiz. Einzelne Helfendenkreise erbringen um betroffene Kinder und Familien enorme Leistungen weit über jede berufliche Verpflichtung hinaus, über Jahre und mit eigenen Gesundheitsrisiken durch Erschöpfung und Selbstaufgabe.
Erkrankungen der weißen Substanz (Myelitis)
Erkrankungen der Nervenbahnen und insbesondere der isolierenden Nervenscheiden, der Myelinschicht, führen zu Störungen, die im MRT gut sichtbar werden, die kognitiven Funktionen aber anfangs nicht beeinträchtigen. Handelt es sich um ein einmaliges Ereignis, so gelingt insbesondere bei Kindern oft eine gute, weitreichende Erholung. Ist die Erkrankung wiederkehrend aktiv, so handelt es sich um eine Multiple Sklerose (MS).
Die akute Form oder akute disseminierte Encephalomyelitis (ADEM) zeigt sich erstmals meist im Schulalter, verursacht durch Erreger, meist Viren (besonders oft Epstein-Barr-Virus) oder Impfungen: Gesichert sind Fälle nach Impfungen gegen Windpocken, Masern, Röteln, Mumps, Tetanus, Diphtherie, Polio, Pertussis, Influenza, Tollwut, Meningokokken, japanische Encephalitis. Wichtig: Die Impfmyelitis ist deutlich seltener als die virusverursachte Myelitis. Die Abwägungsentscheidung „Impfen oder nicht?“ bleibt rational eindeutig für Impfung, aber die Behauptung, dass Impfen keine schweren Schäden verursachen kann, ist schlicht falsch. (Kompliziert würde die Diskussion, nachdem z. B. 100 % aller Kinder in Deutschland gegen Masern geimpft wären. Danach würde das Impfrisiko um 1:1.000.000 das Risiko der Masernschäden für das einzelne Kind eindeutig übertreffen. Nach Aufhebung der Impfpflicht kämen die Masern zurück mit schweren Schäden in einer Relation von vermutlich 1:1000.) Die ADEM-Krankheit verläuft rasch und manchmal schwer, das MRT zeigt zuverlässig erhebliche Störungen in der weißen Substanz, das Labor hilft oft nicht weiter, die Lumbalpunktion mit Untersuchung des Hirnwassers auf Entzündungszeichen auch nicht. Das macht die Ursachenzuschreibung gerne spekulativ. Entscheidend für ADEM ist der Verlauf, die Erkrankung sollte sich bessern, manchmal komplett binnen vier Wochen, manchmal bleiben Schäden. Im Bereich des Rückenmarks gibt es eine ähnliche Krankheitsform, die transverse Myelitis.
Entzündungen des Sehnervs (Optikusneuritis)
Hierbei entsteht, erneut oft nach Virusinfekt und sehr selten nach einer Impfung, eine abrupte Sehstörung, manchmal mit Augenbeschwerden und Kopfschmerzen. Augenärztliche Kontrollen sind oft unergiebig, Spezialuntersuchungen zur Nervenleitgeschwindigkeit des optischen Systems sind selten möglich und aufwendig, zeigen jedoch eine Verlangsamung und manchmal erkennt das MRT die diskrete Schwellung des Sehnervs. Das MRT hat auch die Aufgabe, Multiple Sklerose mit diffusen, wechselnden Entmarkungsherden auszuschließen. Angesichts verschiedenster möglicher Ursachen wird bei Optikusneuritis viel Labor abgenommen mit umfangreicher Suche nach speziellen Antikörpern. Behandelt wird mittels Cortison und oft erfolgreich.
Sie betrifft die weiße Substanz, also die Bahnen und Nervenscheiden von Gehirn, Rückenmark und Sehnerv, nicht jedoch die Hirnrinde, es kommt meist nicht zu akuten kognitiven Störungen und das EEG kann unauffällig sein. Im Verlauf entwickeln sich aber neben Sensibilitätsstörungen, Lähmungen und Schwäche auch Sprach-, Denk- und Merkstörungen. Dachte man früher, die MS sei eine Erkrankung des Erwachsenenalters, so finden sich inzwischen zunehmend Kinder und Jugendliche. Das Epstein-Barr-Virus scheint bei der Entstehung der MS eine entscheidende Rolle zu spielen. Als erste Krankheitszeichen werden Sensibilitätsstörungen, Sprachstörungen Sehminderungen und Lähmungen angenommen, das entscheidende MRT erfolgt nicht selten wegen einer unklaren Wesensänderung mit Kopfschmerzen. Zur sicheren Diagnose sind zumindest zwei demyelinisierende Episoden mit gut sichtbaren neuen Entmarkungsherden im MRT im Abstand von mindestens vier Wochen nötig, also zweimal MRT-Diagnostik und eine Liquorpunktion mit typischen Entzündungszeichen im Hirnwasser. Die Therapie verzichtet zunehmend auf Cortison (außer im akuten Schub) und setzt Immunmodulatoren ein, die meist off-label und nur in Spezialzentren verordnet werden dürfen – mit guter Wirkung.
Schlaganfälle
Schlaganfälle bei Kindern gelten irrtümlicherweise als gänzlich ungewöhnlich. Ein Schlaganfall um die Geburt ereignet sich bei 0,3 Promille der Kinder und ergibt einen wichtigen Grund für die spastische Hemiparese (Zerebralparese mit halbseitiger, armbetonter, spastischer Lähmung nach Verschluss der mittleren Gehirnarterie). Schlaganfälle sind auch während der späteren Kindheit möglich. Grund sind angeborene Engstellen oder Erweiterungen von Arterien oder Entzündungen, z. B. nach Varizellen, Kawasaki, Corona, und bei genetischen Krankheiten wie Mitochondriopathie (Funktionsstörungen der Mitochondrien), Migräne, Fettstoffwechselstörungen und Sichelzellanämien. Infarkte durch Embolien oder Thrombosen sind möglich bei Herzerkrankungen, Gerinnungsstörungen oder durch Medikamente (Verhütungsmittel). Eine angeborene Halbseitenlähmung wird in den ersten Monaten beim Kind öfters nicht erkannt. Dann ist der Gefäßverschluss deutlich vor der Geburt entstanden, das Neugeborene wirkt nicht krank und die Bewegungsstörung wird erst ab dem vierten bis fünften Monat deutlich. Eine akute Hemiparese während oder nach der Geburt führt zu einem kranken Kind und kann eigentlich nicht übersehen werden.
Die akute Hirnblutung
Abrupte heftigste Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit und rasche Bewusstseinsstörung sind die klinischen Zeichen der akuten Hirnblutung – bei Kindern und bei Erwachsenen. Auslöser sind meist angeborene Fehlbildungen der großen Hirngefäße. Beim Schütteltrauma des Säuglings finden sich andere Blutungsorte und oft Netzhautblutungen (Augenhintergrund dringend prüfen!).
Infarktbilder bei weiteren Krankheiten
Migräne kann kurzfristige Lähmungen, Sehstörungen oder Schwindelzustände im Rahmen der Aura auslösen. Selten entwickelt sich ein bleibendes Defizit im Sinne eines diskreten Schlaganfalls. Fieberkrämpfe oder fokale Epilepsien mit langen, halbseitigen Krampfanfällen können ebenfalls ein motorisches Defizit hinterlassen. Selten sind genetische Ursachen, z. B. die alternierende Hemiplegie, das Gen ist präzise bekannt, es führt zu seitwechselnden schlaffen Lähmungen, anhaltenden Krampfanfällen und zunehmender Behinderung.
Gefäßentzündungen des Gehirns
Seit Corona wird die Möglichkeit einer Gefäßentzündung von Hirngefäßen öffentlich diskutiert. Seit Langem weiß man um diese seltene Komplikation nach Varizellen (Windpocken), Zytomegalie und Parvoviren (Ringelröteln) sowie bei Borrelien (Zecken) und Mykoplasmen (Bronchitiserreger). Die sogenannte Immunvaskulitis (allergische Gefäßentzündung) ist bei Kindern bekannt als Purpura Schönlein-Henoch (Haut, Darm, Nieren) oder Kawasaki-Syndrom (Haut, Herzkranzgefäße). Manche der Gefäßentzündungen betreffen das Gehirn und es kommt zu verwirrenden neurologischen Symptomen mit Kopfschmerzen, Wesensänderung oder Krampfanfällen. Die Diagnostik ist schwierig, öfters bleibt sie unsicher, aktuell von großem Interesse wegen Corona und Long bzw. Postcovid mit vermuteter oder gesicherter Entzündung kleiner Hirngefäße.
Die Hirnhautentzündung (Meningitis)
Die wahrscheinlich von den Eltern meistgefürchtete Komplikation beim schwer kranken Kind. Sie entsteht einmal im Verlauf eines Infekts oder Durchfalls mit zunehmenden Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit, Berührungsempfindlichkeit, Erbrechen, Benommenheit und Krampfanfällen. Die zweite Variante ist der abrupte Beginn aus voller Gesundheit heraus mit schockartiger Beeinträchtigung, rascher Bewusstseinsstörung und manchmal Hautveränderungen, typisch ausgelöst durch Meningokokken. Immer sollte es schnell gehen: Die Eltern sollen mit dem Kind schnell zur Ärztin / zum Arzt; sie/er weist schnell in die Klinik ein, die Klinik macht unverzüglich die diagnoseweisende Lumbalpunktion (notwendiger Nachweis der Infektion und des Erregers im Hirnwasser). Im Bereich der Lendenwirbelsäule wird unterhalb des Rückenmarks ein Raum mit Hirnflüssigkeit angestochen (technisch schwierig).
Die Hirnwassergewinnung mit Kultur ist ein Schritt, die unverzügliche Therapie der zweite. Als Erreger kommen verschiedene Bakterien, aber auch Viren und Pilze infrage. Selten entwickelt sich eine Meningitis im Rahmen einer Entzündungskrankheit ohne Erreger. Die Therapie versucht, die wichtigsten und gefährlichen Erreger zu stoppen, also Antibiotikum und im Zweifelsfall zusätzlich ein Medikament gegen Viren. Weiterhin soll die Entzündungsreaktion das Gehirn nicht zusätzlich schädigen, also Cortison. Anhand der Klinik gelingt die Trennung zwischen Bakterien und Viren oft nicht sofort zuverlässig, meist verläuft die Virusmeningitis leichter. Die Impfungen haben die Häufigkeit schwerer bakterieller Meningitiskrankheiten drastisch reduziert. Die Sterblichkeit der bakteriellen Meningitis liegt unter 10 %, indes zeigen sich nicht selten leichte neurologische Spätfolgen, auch Hörminderungen und Sehstörungen. Bei manchen bakteriellen Erregern werden die engen Haushaltskontakte (Kernfamilie) prophylaktisch mit Antibiotika behandelt. Etliche Formen der Virusmeningitis können zurzeit nicht gezielt behandelt werden, der Verlauf ist oft leicht.
Der Hirnabszess ist eine Sonderform einer Meningitis, oft sind Streptokokken auslösend, oft mit unspezifischem Beginn, oft bestehen Vorerkrankungen. Das MRT hilft bei der Diagnose, die Therapie ist komplex.