Allergische Erkrankungen
Allergiediagnostik
Allergien werden vor allem vererbt. Ist ein Elternteil Allergiker:in, werden bis zur Hälfte der Kinder ebenfalls allergisch. Sind beide Eltern Allergiker:innen, werden es zwei Drittel ihrer Kinder. Allergien beginnen oft bereits im Säuglingsalter mit Nahrungsmittelallergien (Milch, Ei, Nuss, Soja) und Hausstaub, im Kleinkind- bis Schulalter sind es dann Pollen (Bäume, Gräser, Kräuter, Getreide) oder Tiere (Katze, Hund).
Inhalationsallergene sind grundsätzlich Proteine und ihre Zahl ist begrenzt. Sie führen erst zur Antikörperbildung und dann zur Histamin-, Prostaglandin- und Leukotrienfreisetzung aus Mastzellen (Phase I) mit Juckreiz, wässrigem Schnupfen oder akutem Bauchweh binnen 30 Minuten. Histamin, Leukotriene und Prostaglandine sind körpereigene Entzündungsvermittler, die eine sogenannte Entzündungskaskade in Gang setzen. Es folgt über die nächsten sechs bis zwölf Stunden die Entzündung der Atemwegs- oder Darmschleimhaut (Phase II) durch die Einwanderung diverser Entzündungszellen. Endlich entwickelt sich ein chronisches Entzündungsstadium (Phase III) mit Infiltrationen und Mastzellvermehrung. Diese chronisch entzündeten Oberflächen des Atemtraktes werden besonders empfindlich auch gegen kleine Allergenmengen, die allergischen Reaktionen nehmen stark zu.
Im Labor wird nach Allergiehinweisen gesucht: Im Differenzialblutbild findet sich im positiven Fall eine Erhöhung der eosinophilien Granulozyten, im Serum ein erhöhtes Gesamt-IgE und im nachfolgenden RAST-Test werden spezifische IgE-Antikörper gegen Allergene von Bäumen, Gräsern, Getreide, Hausstaub, Schimmel, Tieren und Nahrungsmittel quantitativ gemessen (sechs RAST-Klassen). Mittels Hauttestung wird die Histaminfreisetzung auf verschiedene Allergene nachgewiesen (manchmal umfangreiche Tests, gesamter Rücken). Die klinische Aussagekraft der RAST-Untersuchungen bei Nahrungsmittelallergien gilt als gering und zunehmend wird von dieser Diagnostik abgeraten. RAST-Ergebnisse scheinen oft eine Sensibilisierung zu belegen, die in der Lebenswirklichkeit dann doch nicht besteht. Es bedarf der oralen Provokation, um sicher zu sein, also der überwachten Aufnahme des vermuteten Allergens in den Körper. Diese Provokation wird aus Sicherheitsgründen nur auf einer Intensivstation durchgeführt und findet darum fast nie statt.
Neben den RAST-Testungen finden sich weitere Testverfahren ohne wissenschaftlichen Segen in besonderen Praxen oder Labors. Nachdem die Kinder dann unter zahlreichen und unklar bedeutenden Nahrungsmittelallergien leiden und kaum noch ernährbar sind, bedarf es der schrittweisen Wiedereinführung ausgewählter Nahrungsmittel nach initialer Reisdiät um die vielfältigen Vermutungen und Ernährungseinschränkungen zuverlässig abzuklären.
Heuschnupfen (allergische Rhinitis)
Unter Heuschnupfen leiden 20 – 30 % aller Kinder und es werden mehr. Vermeidend wirken Stillen ohne ein einziges Fläschchen Kuhmilch in den ersten Lebenswochen, eine Spontangeburt (Mikrobiommitnahme), keine frühen Infektionen im ersten Lebensjahr, keine genetische Belastung durch die Eltern. Anhaltender Schnupfen über mehr als zwei Wochen ist bereits verdächtig auf Heuschnupfen.
Ausgeschlossen werden sollen bei anhaltendem Schnupfen eine angeborene Engstelle, ein Fremdkörper, Tumor oder Polypen, seltene Krankheiten wie Mukoviszidose, Zilienkrankheiten (die Flimmerhärchen der Atemwegsoberfläche funktionieren nicht) oder Granulomatosen (erworbene entzündliche Krankheiten mit Gewebewucherung). Bedacht werden soll ein Reflux (besonders bei jungen Säuglingen), ein medikamentös ausgelöster Schnupfen (Salizylsäurepräparate), schließlich ein hormonell ausgelöster Schnupfen (prämenstruell). Begleitend finden sich oft Mittelohrentzündungen, Bindehautentzündungen, Nasennebenhöhlenentzündungen, Ekzeme und Asthma. Unterschieden wird in die ganzjährige allergische Rhinitis und die saisonale Rhinitis, z. B. nur Birke, Erle und Hasel in den ersten Frühlingswochen.
Die Behandlung beginnt mit der Allergenvermeidung, also Elimination von Textilien aus dem Schlafzimmer bei Hausstaubmilbenallergie, eine Luftfilteranlage oder Abschaffung der Haustiere (emotional oft hart). Danach folgen Antihistaminika, Leukotrien-Antagonisten(entsprechende Medikamente bremsen die Entzündungsmediatorproduktion), ein nasales Cortisonspray und verschiedene Augentropfen. Anhaltend krankheitsverbessernd wirkt nur die gezielte Desensibilisierung, auch als spezifische Immuntherapie bezeichnet; mittels Spritze (in den Oberarm) oder täglicher Tropfen in den Mund (mit erstaunlich vielen Nebenwirkungen). Beide Formen der Desensibilisierung sind teuer und mühsam und mit erheblicher Abbruchquote belastet (auch wegen der Nebenwirkungen).
Asthma bronchiale
Es handelt sich um eine chronisch entzündliche Erkrankung der Luftwege mit wiederholter Verengung des Luftstroms. Ursächlich sind Genetik, Umwelt und individuelle, biografische Krankheitsgründe. Betroffen sind ca. 10 % aller Kinder. Über 100 Gene werden als beteiligt (assoziiert) angesehen, nur wenige haben erheblichen Einfluss. Die Umwelt provoziert durch Staub, Reizgase und Passivrauchen, mit Kälte und trockener Luft. Allergien gegen Hausstaub, Pollen, Tiere, Nahrungsmittel, Schimmel helfen mit, ebenso Infektionen mit Viren und Bakterien. Die individuellen Immunantworten sind wichtig, Struktur und Funktion der Lungen, die psychische Situation von Kind und Familie, deren soziale Lage und Einkommen. Zweitkrankhheiten beeinflussen den Verlauf. Schwere Verläufe sowie das chronische, lebenslange Asthma beginnen früh und im Säuglingsalter, der Allergienachweis ist häufig, es zeigen sich eine anhaltend reduzierte Lungenfunktion und schwere Asthmaanfälle mit Atemnot und Krankenhausaufenthalt.
Das häufigere Infektasthma kann ohne fassbare Allergien bestehen. Nur im Rahmen von akuten Infekten entsteht eine zeitlich begrenzte obstruktive Bronchitis mit Verengung der Ringmuskulatur um die Bronchien und Schleimhautentzündungen. Die Behandlung gelingt meist gut und im späteren Schulalter endet die Krankheit. Wer aber nach diesem zeitlich begrenzten Infektasthma im Erwachsenenalter raucht, kann Jahre später eine chronisch obstruktive Bronchitis entwickeln mit ganz erheblicher Verkürzung der Lebenserwartung.
Ziel der Therapie ist eine normale Lungenfunktion, keine Obstruktion bei Sport und Belastung, keine chronische Entzündung, keine Asthmaanfälle – dann sind die Expert:innen zufrieden und sprechen vom kontrollierten Asthma. Als leicht wird ein Asthma angesehen, wenn einfache, tägliche Sprays in niedriger Dosierung langfristig reichen. Als behandlungsintensiv hingegen gilt, wenn auch hoch dosierte Medikamente scheitern. Engmaschige klinische Kontrollen, eine Lungenfunktionsprüfung alle drei Monate und ambulante Schulungen werden gewünscht. Die besonders schwierigen Verläufe erfordern eine Überprüfung der Diagnose und spezielle Diagnostik bis zur Bronchoskopie und Biopsie.
Die Realität der Asthmatherapie zeigt, dass Eltern kein Cortison wollen, auch nicht wenig oder als Spray, vor allem nicht dauernd und über Jahre. Im Internet wird darauf verwiesen, dass inhalative Kortikoide zu Wachstumsstörungen, Knochenentkalkung und Nebenniereninsuffizienz führen. Ziel der elterlichen Asthmatherapie ist das möglichst rasche Absetzen des Cortisons. Leukotrien-Antagonisten werden weit eher akzeptiert. Sie sind sehr gut verträglich, führen aber in seltenen Fällen zur depressiven Verstimmung beim Kind. Wenn, dann unbedingt absetzen! Gerne eingesetzt werden Kaltvernebler mit Meersalz oder neuem Kochsalzpräparat (3 % NaCl). Die Vorteile der Kaltvernebler gerade bei jungen Kindern finden sich vor allem in der angelsächsischen Literatur: Die jungen Kinder akzeptieren Salbutamol eher als Tropfen oder Saft denn als Spray mit einer Inhalierhilfe (Maske und Sprayreservoir). Die bronchienerweiternde Wirkung ist als Tropfen geringer; abends gegeben führt Salbutamol zu Schlafstörungen. Ein- oder zweimal Cortison als Saft bei akuter Luftnot ist verhandelbar. Sprays werden bei unauffälligem Befinden des Kindes wieder abgesetzt – ein wenig Husten stört nicht. Längerfristige Cortisoninhalation, gar einen ganzen Winter lang, wird meist nicht akzeptiert. Das leicht verlaufende Asthma der Kleinkinder verliert sich im Schulalter und die Eltern behalten mit ihrer unvollkommenen Therapie recht. Kaum eine tatsächliche Behandlung einer Kinderkrankheit weicht dermaßen krass von der empfohlenen Leitlinie ab.
Bei den schweren Verläufen ändert sich das Bild. Das Asthma zeigt sich als akuter und bedrohlicher Notfall mit wiederholter massiver Atemnot und Husten. Die Kinder können kaum sprechen oder schlafen, sie brauchen alle Kraft für das Herauspressen der Atemluft mit hörbarem Pfeifen und Giemen. Die Finger werden blau, sie sitzen abgestützt im Bett, Gehen fällt schwer, sie essen und trinken nicht. Asthmaanfälle ergeben einen der häufigsten Gründe für Notfalleinweisungen in Kliniken und oft werden Notarzteinsätze erforderlich. Wiederholte Salbutamolgaben und Cortison als Saft (Wirkung braucht gut 20 Minuten) gibt es zu Hause, in der Klinik gibt es Sauerstoff, Infusion, Überwachung, kontinuierliche Feuchtinhalation. Die so betroffenen Familien und Kinder akzeptieren notwendige Kontrolltermine (mit Lungenfunktion), die Mühen der Desensibilisierung, die Medikamente und Schulungen. Einzelne Kliniken bieten stationäre Maßnahmen in hoher Qualität an (meist mit besonders günstigem Klima, wie z. B. im Gebirge oder am Meer) und zunehmend werden gegen schweres Asthma Immunmodulatoren (monoklonale Antikörper) eingesetzt.
Nesselsucht (Urtikaria)
Plötzlich und oft unerwartet entstehen auf der Haut sogenannte Quaddeln, wie nach Brennnesselkontakt, mit und ohne Schwellungen von Gesicht und Händen. Das Phänomen ist sehr häufig, gut 20 % der Kinder werden es zumindest einmal erleben. Die Praxis behandelt akut mit Antihistaminika und verzichtet zuerst auf weitere Diagnostik; weil sie so selten Erfolg hat. Nach wiederholter und heftiger Urtikaria beginnt die Ursachensuche:
Sonderformen sind die Urtikaria pigmentosa und die chronische familiäre Urtikaria. Urtikariaambulanzen in einer Hautklinik sind selten geworden; weiterhin gelingt die Ursachensuche nicht zuverlässig.
Allergieschock (Anaphylaxie)
Die maximale und lebensbedrohliche Reaktion des Körpers auf ein Allergen ist der Allergieschock, die anaphylaktische Reaktion. Die Entzündungsstoffe führen bereits wenige Minuten nach Allergenkontakt zu einer heftigen und bedrohlichen Krankheit. Die Haut wird rot mit Juckreiz, Quaddeln, diffuser Rötung, Schwellung und Hitzegefühl. Die Atmung wird schnell, Engegefühl im Hals, Atemnot und Husten, ein wässriger Schnupfen entsteht; im Bereich des Magen-Darm-Trakts (nach Lebensmittel mit Allergie): Erbrechen, Bauchweh, Durchfall. Der Blutkreislauf verliert Volumen durch Weitung der kleinen Gefäße und Flüssigkeitsverluste in Gewebe und Darm mit Blutdruckabfall und Pulsanstieg; Kollapsneigung im Stehen. Das Gehirn wird wenig durchblutet mit Schwindel, Schwächegefühl, Ohnmacht und Bewusstlosigkeit.
Die Verdachtsdiagnose braucht nur wenige Kriterien: bekannte Allergieneigung, akuter Beginn, Haut- und Schleimhautreaktion, Husten und Atemnot, Blutdruckabfall und rascher Puls, eventuell Darmreaktion. Betroffene mit wiederholter Attacke reagieren oft mit Angst – es gilt, die Symptome einer bedrohlichen Anaphylaxie nicht mit einer nicht lebensbedrohlichen Panikattacke oder Hyperventilationstetanie (subjektiv Atemnot, Benommenheit, Kribbeln und Gefühlsstörungen an Mund, Händen und Füßen, Muskelverkrampfungen) zu verwechseln, da sie anfangs Ähnlichkeiten aufweisen. Ursachen der Anaphylaxie sind meist Nahrungsmittel wie Nüsse (Erdnuss, Cashew), Insekten (Biene, Wespe) und Medikamente (Kontrastmittel). In Kliniken wird die Latexallergie während einer OP gefürchtet.
Therapeutisch ist immer und sofort Adrenalin zu geben, z. B. als Epinephrinpen, im Notfall durch die Hose in den Oberschenkelmuskel. Inzwischen erhalten gefährdete Menschen zwei Exemplare, die jedoch allenfalls ein Jahr haltbar und sehr teuer sind. Adrenalin wirkt immer und schnell und gibt die Zeit, in eine Klinik zu gelangen (bzw. unter 112 Notärzt:in zu rufen). Das Medikament ist ungefährlich. Zu viel oder falsch gegeben, passiert nichts Lebensbedrohliches. Die Betroffenen erhalten einen Allergiepass. In Kindergärten und Schulen entsteht ein hoher Informationsbedarf mit teilweise ablehnender Sorge. Wer jedoch soll dieses teure Medikament, den Allergiepen, erhalten? Es wird nur nach Allergie mit Kreislaufbeteiligung verschrieben und die Kriterien sind strittig. Cortison und Antihistaminika können gegeben werden, falls kein Adrenalin greifbar ist, brauchen jedoch mehr Zeit bis zur Wirkung und sind weniger wirksam.
Nahrungsmittelintoleranzen
Neben den IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien (Antikörper gegen Eiweißbestandteile der Nahrung) gibt es häufiger Nahrungsintoleranzen. Sehr bekannt ist die Laktoseintoleranz durch einen erworbenen Enzymmangel im Darm, Ähnliches gilt für die Fruktoseintoleranz. Eine Darmentzündung kann eine Unverträglichkeit auslösen; nach einem heftigen Durchfall entwickelt sich manchmal eine zeitlich begrenzte Intoleranz gegen Milch, Ei oder Wurst, durch verminderte Aufnahmekapazität und veränderte Oberflächen. Etliche Migränepatient:innen reagieren auf Schokolade mit Kopfweh, andere nach Rettich. Häufig sind Phobien: Erzwungene Nahrungsaufnahme im Kleinkindalter führt zu lebenslangem massivem Ekel, Widerwillen und somatischen Reaktionen, z. B. Rote Bete und andere gesunde Gemüse, Innereien wie Kutteln, Leber und Nieren, aber auch Joghurt, Reisbrei und manche Suppen. Nahrungsmittel führen durch spezifische Inhalte zu Intoleranzen, wie Koffein, Farbstoffe, Süßungsmittel, Toxine.
Medikamentennebenwirkungen
Es finden sich vorhersehbare und dosisabhängige Nebenwirkungen und damit eine oft strittige Abwägung zwischen Wirkung und Nebenwirkung. Daneben gibt es unvorhersehbare, oft genetisch verursachte, dosisunabhängige Nebenwirkungen; sei es durch Stoffwechselbesonderheiten oder individuelle Empfindlichkeit.
Allergien gegen Medikamente können unterschiedlich verursacht werden: Typ I ist IgE-vermittelt und der Körper reagiert sofort. Typ II schädigt Zellen über Autoantikörper z. B. in Gelenken und an Oberflächen und braucht ca. eine Woche. Typ III entsteht durch zirkulierende Immunkomplexe. Diese lösen eine Krankheit aus mit Hautausschlägen, Fieber, Gelenk-, Muskel- und Kopfschmerzen, Entzündungszeichen, Thrombozytenabfall, Lymphknotenschwellung, Blut- und Eiweißausscheidung im Urin (Serumkrankheit). Typ IV verursacht nach etlichen Wochen systemische Entzündungen mit schwerem Verlauf; möglich bei Antiepileptika, verläuft selten tödlich.
Häufigste Nebenwirkung von Medikamenten sind subjektiv wahrgenommene Störungen im Befinden und Erleben à la „Es tut mir nicht gut“, die sich der Objektivierung entziehen.