Vorwort

Neugeborene und Säuglinge

Gesundheitsprobleme bei Kindern nach dem Säuglingsalter

Behinderung, Erziehung, Förderung, Rehabilitation und ärztliches Handeln

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Gesundheitsprobleme bei Kindern nach dem Säuglingsalter

Blut, Gerinnung, Krebs

Das blasse Kind (Anämie)

Die meisten blassen Kinder lösen Sorgen bei Eltern aus und erweisen sich als gesund, also ohne Hämoglobinmangel (roter Blutfarbstoff). Die Normalwerte für Hämoglobin sind alters- und geschlechtsabhängig und liegen für zwei- bis fünfjährige Kinder über 10,8 g %, für Sechs- bis Zehnjährige über 11,3 g %, für zehn- bis 15-jährige Mädchen über 11,5 g % und für ebenso alte Jungen bei 11,8 g %. Zwischen 16 und 18 Jahren steigt das Hämoglobin der Jungen auf über 13,2, verharrt bei den Mädchen bei über 11,8 g %. Klinische Symptome wie Schwäche, Müdigkeit, rasche Atmung und hohe Herzfrequenz zeigen sich erst bei einem Hämoglobin unter 7 – 8 g %, vor allem bei raschem Abfall der Werte z. B. durch eine Blutung. Ursache einer Anämie ist entweder zu wenig Produktion oder zu viel Verbrauch.

Eisenmangel

Eine zu niedrige Produktion ergibt sich vor allem durch Eisenmangel, die häufigste Ernährungsstörung weltweit. Über die Hälfte der Weltbevölkerung soll Eisenmangel zeigen und gut 5 – 10 % unserer Kinder. Ab dem Kleinkindalter braucht der Körper ca. 1 mg Eisen pro Tag. Resorbiert wird aus fleischhaltiger Nahrung ca. 10 % des angebotenen Eisens, aus Getreide oder Gemüse weit weniger, eventuell nur 1 %. Schwerer Eisenmangel verursacht bei Säuglingen und Kleinkindern Muskelschwäche und vorzeitige Ermüdbarkeit, insbesondere jedoch Entwicklungsstörungen und kognitive Defizite, die bleiben können. Eisenmangel ist Mitursache des Restless-Legs-Syndroms. Eisentropfen werden von Säuglingen und Kleinkindern gut vertragen.

Folsäure und Vitamin-B12-Mangel

Die beiden Vitamine sind wichtig für die Blutproduktion. Folsäure findet sich in Gemüse und Obst, B12 in Milch und Ei, deshalb sind sie knapp bei veganer Ernährung; in Ziegenmilch ist nur wenig Folsäure. Darmkrankheiten (z. B. Zöliakie) und manche Medikamente lösen ebenfalls einen Mangel aus.

Anhaltende Infektionen (Infektanämie)

Andauernde Entzündungen oder eine Infektkette mit wiederholten Erkältungen reduzieren die Produktion von roten Blutkörperchen. Kinder mit andauernden Erkältungskrankheiten im Winter werden tatsächlich blass und anämisch.

Blutbildungsstörungen

Es gibt angeborene Blutbildungsstörungen (Genetik) und erworbene. Ringelröteln (Parvovirus B19) können eine Anämie auslösen, die meist wieder weggeht. Nierenkrankheiten führen, aus verschiedenen Gründen, zur Anämie, ebenso Tumore.

Blutungen

Bei Blutungen geht, nicht immer offensichtlich, Blut verloren. Nasenbluten ist gut sichtbar, Darmblutungen können lange verborgen bleiben; man muss sie suchen.

Verkürzte Lebenszeit der roten Blutkörperchen (Hämolyse)

Die roten Blutkörperchen können aus verschiedenen Gründen vorzeitig zerfallen. Manchmal ereignet sich der Zerfall abrupt im Sinne einer hämolytischen Krise und mit bedrohlichem Verlauf. Gründe sind Stoffwechselbesonderheiten in den Erythrozyten (rote Blutkörperchen), Antikörper, Medikamente, Nahrungsmittel, Infektionen. Die Kinder werden schwer krank, erleiden Leber- und Milzschwellung, Gelbsucht, oft Schmerzen. Sie müssen in eine hämatologische Spezialabteilung. Die Situation ist beim erstmaligen Ereignis oft schwierig zu erkennen, weil man nicht daran denkt.

Bluttransfusionen

Bluttransfusionen sind für Eltern oft kritisch: aus religiösen Gründen, aus Furcht vor Infektionen, teils aus Desinformation. Bei einem Blutverlust über 25 % des Blutvolumens und bei einem Hämoglobin unter 7 g % wird dazu geraten. Indes kann bei chronischer Anämie auch bis 5 g % gewartet werden, nach Operationen sind frühere Transfusionen sinnvoll. Inzwischen wird vor großen Operationen Blut vom Patient:innen gesammelt und aufbewahrt, quasi als Eigenblutspende. Transfusionen von Thrombozyten (Blutplättchen) werden vorgeschlagen bei Plättchenzahlen unter 10.000, falls keine Blutungsrisiken bestehen, ab 20.000 bei Blutungsrisiken, ab 50.000, falls es bereits blutet. Was kann bei Bluttransfusionen geschehen? Es kann zu einer Fieberreaktion kommen, teilweise mit Hautreaktion (Nesselsucht), und zur Bildung von Antikörpern. Schwere Zwischenfälle mit Zerstörung der Blutkörperchen, Kreislaufversagen oder Schock sind selten (in Zahlen: 1:50.000). Eine Infektion durch die Transfusion (Hepatitis B oder C, HIV oder Malaria) oder eine bakterielle Verunreinigung findet sich bei weniger als 1:1.000.000. Transfusionen sind streng reglementiert und erfordern eine spezielle Ausbildung beim verantwortlichen Personal.

Die Gerinnung

Die Gerinnung erfolgt über etliche Eiweiße als komplexes Regelsystem. Das Gerinnsel soll sich schnell bilden und die Blutung stoppen, aber die Gerinnung darf nicht überhandnehmen, die Gerinnungsbegrenzung ist lebenswichtig.

Bluterkrankheit (Hämophilie)

Es gibt angeborene oder erworbene Defekte. Bekannt ist die angeborene Bluterkrankheit (Hämophilie) durch den Mangel an einem wichtigen Faktor der Gerinnungskaskade. Die tagtägliche Substitution mit dem fehlenden Gerinnungsfaktor lässt ein fast normales Leben zu. Die Eltern lernen ab dem Kleinkindalter die tägliche Infusion, also die mühsame Venenpunktion, die Geduld mit dem Kind, die Konsequenz bezüglich der Notwendigkeit. Die Kinder lernen, den Preis für Herumtollen und Fußball zu tragen, die Gesellschaft trägt die enormen Kosten. Spezielle Ambulanzen begleiten die Therapie.

Gerinnungsstörungen

Wiederholte Gelenkblutungen, Nasenbluten, anhaltende Sickerblutungen nach Bagatellunfällen, Nachblutungen nach Zahnextraktion führen ebenso zur Gerinnungsdiagnostik wie die Vorbereitung auf eine größere Operation. Akute Gerinnungsstörungen entstehen im Rahmen schwerer Infektionen (Meningokokken), Entzündungen, Kreislaufstörungen (Schock) und Operationen. Erfolgreiche Eingriffe in die Gerinnungskaskade sind kompliziert, insbesondere während laufender Operation.

Thrombosen (Gerinnsel)

Kinder gelten als weitgehend geschützt vor Thrombosen (1:1.000.000). Aber keine Regel ohne Ausnahmen: Neugeborene zeigen sie durchaus, teils nach schwerer Geburt, teils nach Venenpunktionen und Verweilkathetern. Kinder mit künstlichen Herzklappen, Tumoren, Entzündungen (Rheuma, Darmentzündung, schwere Nasennebenhöhlenentzündung), Diabetes und Nierenkrankheiten sind gefährdet. Weiterhin Jugendliche mit Immobilisierung im Gips, Verhütung mittels Pille (bei gleichzeitiger Migräne), Antiphospholipid-Syndrom (Antikörper gegen verschiedene Moleküle, die sich vor allem an Gefäßoberflächen finden und bei denen Durchblutungsstörungen und Thrombosen entstehen können) und bei Medikamenten (Hormone) oder Impfungen (Corona). Die richtige Thromboseprophylaxe z. B. bei Immobilisierung ist strittig, denn die Heparinspritze brennt und kann schaden (Thrombozytenabfall). Das Verhältnis von Nutzen und Risiko ist bei Kindern nicht abschließend geklärt. Es finden sich genetische Gründe für eine Thromboseneigung, die Risiken lassen sich genetisch prüfen. Hauptgrund für eine entsprechende Diagnostik ist die Erkrankung von Angehörigen, weit seltener eine Thrombose beim Kind.

Krankheiten der Blutplättchen (Thrombozyten)

Blutplättchen finden sich in hoher Zahl im Blut: 150.000 – 450.000 pro Milliliter. Ab einem Thrombozytenabfall auf unter 50.000 können sich Symptome entwickeln. Es zeigen sich dann zahlreiche kleine Blutpunkte in der Haut (Petechien) oder flächige Einblutungen. Nicht selten tritt Nasenbluten auf, selten Blut im Stuhl, sehr selten roter Urin. Die idiopathische thrombozytopenische Purpura (ITP) entsteht durch Antikörperbildung gegen Thrombozyten nach eigentlich einfachem Virusinfekt. Die Kinder sind gerade wieder gesund geworden und dann entstehen plötzlich Blutpunkte und Nasenbluten, nachdem die Thrombozyten zerfallen. Die Krankheit verläuft meist leicht und endet spontan, aber in 20 % wird sie chronisch und in 3 % treten schwere Blutungen auf. Einige Kinder mit ITP entwickeln eine Nierenentzündung, dann auch Gelenk- und Bauchschmerzen, deshalb rät man zu Urinkontrollen, auch Monate nach der klinischen Besserung. Die therapeutischen Entscheidungen sind manchmal strittig: Welche Therapie soll gemacht werden? Wann eine Thrombozytentransfusion (die eventuell schnell zerfallen)? Wann ist die Krankheit chronisch (nach einem Jahr)? Wann in ein Klinikzentrum? Wann wieder Schulsport, Fußball und Trampolin? Thrombozytenmangel verursachen etliche Medikamente, z. B. Valproat (ein Epilepsiemedikament).

Die vergrößerte Milz (Splenomegalie)

Die vergrößerte Milz gehört zu den häufigsten Ultraschalldiagnosen bei Kindern und führt zuverlässig zu allgemeiner Beunruhigung. Die Differenzialdiagnose der vergrößerten Milz ist riesig, die sichere Diagnose schwierig, lohnt es sich also, erst einmal abzuwarten? Im Internet finden sich als Erklärung Infektionen, Leukämien, Autoimmunkrankheiten, Hämolysen, Parasiten, Entzündungen, Speicherkrankheiten, Herz- oder Leberstörungen, einfach alles – und wahrscheinlich war es wieder einmal ein Virusinfekt. Manche Kinder haben anhaltend eine leicht vergrößerte Milz, früher galten sie als „Lymphatiker“.

Die vergrößerten Lymphknoten

Mühsam und komplex ist die Beurteilung und Begleitung vergrößerter Lymphknoten. Neugeborene zeigen sie normalerweise nicht, aber bei Ekzem und Milchschorf sind sie da. Die Vergrößerung einer einzelnen Lymphknotenregion gilt als Folge einer lokalen Entzündung, die Vergrößerung verschiedener Lymphknotenregionen als Folge einer systemischen Entzündung. Vergrößerte Halslymphknoten werden Infekten zugeschrieben und nicht verfolgt. Es sei denn, sie werden sehr groß und schmerzhaft, dann können sie zum Lymphknotenabszess führen und es erfolgt die antibiotische Behandlung der „Lymphadenitis colli“ (meist Staphylokokken). Epstein-Barr-Viren (häufiger Viruserreger mit besonders starker Stimulation der zellulären Abwehr), Zytomegalie (Virus mit langen Krankheitsverläufen, u. a. Lymphknotenschwellungen), Toxoplasmose (Erreger mit anhaltenden Infektionen, kann lebenslang im Körper ausharren) oder Streptokokken (Bakterien, die sich über Lymphbahnen im Gewebe ausbreiten und die Lymphbahnen dabei zerstören können) verursachen diffuse Lymphknotenschwellungen – Labordiagnostik ist möglich. Derbe Lymphknoten und anhaltende Lymphknotenschwellungen können operativ entfernt und untersucht werden. Die Entscheidung überlässt man spezialisierten onkologischen Ambulanzen. Lymphknotenkrebs und Leukämien bei Kindern kommen vor.

Krebs

Etwa 0,3 % aller Kinder erleiden eine Krebserkrankung und 85 % überstehen sie. Nach Unfällen ist Krebs ab dem Kleinkindalter die häufigste Todesursache bei Kindern, doch sind die Erfolge der modernen Kinderonkologie sensationell. Die Verteilung der Krebsarten ist gänzlich unterschiedlich gegenüber Erwachsenen: 40 % Blut- und Lymphknotenkrebs, 30 % Hirntumore und abhängig vom Lebensalter des Kindes embryonale Tumore vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern. Die Zahl der Krebserkrankungen hat leicht zugenommen, die Gründe sind unklar. Zwei wichtige Impfungen bieten Schutz vor einigen Krebsformen: gegen Hepatitis B und gegen das Humane Papillomavirus (HPV). In beiden Fällen können die chronischen Infektionen im Verlauf zu Krebserkrankungen führen.

Die HPV-Impfung verdient einen kleinen Exkurs: Als Student lernte ich den damals jungen Professor Harald zur Hausen kennen, seinen „Journal Club“ mit Tee und Kuchen und die Vorträge junger Forscher an seinem kleinen Institut in Freiburg in kleinem Rahmen. Seine Arbeiten über virale Mausonkogene führten zum HPV-Impfstoff, der sich nur im Ausland entwickeln ließ. Die Impfung begann mit einem Fehlstart, weil sich zwei Firmen unsäglich bekriegten und das Fernsehen einen angeblichen Todesfall berichtete. Inzwischen wissen wir, die Impfung ist perfekt und ohne erhebliche Risiken, die Effekte schützen junge Frauen ganz ausgezeichnet vor Gebärmutterhalskrebs und ältere Männer vor HPV-Krebsen.

Krebsfrüherkennung

Manche Krankheiten oder Behinderungen erhöhen das Krebsrisiko bereits im Kindesalter. Die angemessene Begleitung ist schwierig. Wie funktioniert Krebsfrüherkennung? Frühe Zeichen und Symptome kindlicher Krebserkrankungen sind unspezifisch. Kopfschmerzen, Fieber, Pupillenstörungen, Husten, Durchfälle, Blässe, Knochen-, Bauchschmerzen, Müdigkeit, Milzvergrößerung, Appetitverlust, Entzündungszeichen, Thrombopenien (verminderte Blutplättchenanzahl), Leukozytenanstieg. Vor allem bei Hirntumoren gelingt nur selten die frühe Diagnose und verzweifelte Eltern treffen auf einen bestürzten Arzt. Soll also wegen Angst oder ungutem Gefühl ein MRT erfolgen? Soll man Blut abnehmen, wenn ein Nachbarskind an Leukämie erkrankt ist? Welche Wahrscheinlichkeitsrechnung rechtfertigt Diagnostik oder deren Unterlassung? Wie argumentiert man bei Krebsfurcht der Eltern und wie bei juristischen Angriffen bezüglich Behandlungsfehler durch Unterlassung? Kinderneurolog:innen kennen leider Tumorkinder, die wegen Schiefhals lange Osteopathie erhielten und dann war es ein Tumor im Halsmark, oder sie verordneten Psychotherapie bei Schmerzsyndrom und es war ein Hirntumor oder es bestand ein chronischer Schnupfen mit Sinusitis und es fand sich keine Allergie, sondern ein Kraniopharyngeom (ein nicht seltener Tumor im Nasenbereich). Oft wird der heimliche Verdacht „Krebs“ von Eltern und Ärzt:innen nicht ausgesprochen. Erst die Erleichterung nach dem unauffälligen MRT oder unauffälligen Blutbild löst das Schweigen.

Die onkologischen Abteilungen in Deutschland genießen einen ausgezeichneten Ruf. Sie sind gut ausgestattet, haben international anerkannte Therapieergebnisse, engagierte Helferkreise, gute Elternunterbringung, ambulante Betreuungsdienste und spezielle Rehabilitationskliniken nach der ersten Intensivtherapie für die ganze Familie. Denn der Krebs eines Kindes trifft die ganze Familie, auch die gesunden Geschwister.