Knochen, Muskeln und Gelenke
Beschwerden im Bereich des Bewegungsapparats sind sehr häufig und kein Kind ist ohne sogenannte Arthralgien, Muskel-, Knochen- und Bewegungsschmerzen groß geworden. Nahezu alle Kinderärzt:innen erleben ein- oder mehrfach ernste Krankheiten, die mit harmlosen entsprechenden Beschwerden anfangen – und die erst bzw. lange übersehen werden. Entsprechend dramatisch liest sich das Internet und entsprechend alarmiert können Eltern, Kind sowie Ärztin und Arzt sein. Weil die Phänomene unspezifisch sind und für sich zu einer tragfähigen Diagnose nicht ausreichen, bedarf es der Beobachtung bezüglich des Verlaufs und der Suche nach weiteren Symptomen (Infektzeichen, Haut, Augen). Das Labor startet (Blut, Urin) und es beginnt die strukturelle Diagnostik (Ultraschall, Röntgen, MRT). Wie angemessen die Schrittfolge war, bezüglich Zeitverlauf und Umfang, zeigt sich erst hinterher.
Nächtliche Gelenk- und Knochenschmerzen können erstes Zeichen einer Leukämie sein, also ist eine Untersuchung mit Labor nötig. Nächtliche Gelenk- und Muskelschmerzen bei Klein- und Schulkindern, die durch Massage besser werden, ergeben die harmlose Verdachtsdiagnose Wachstumsschmerzen. Sicherer wird die Vermutung bei familiärer Belastung, viel Aktivität am Tag zuvor, einige Tage Beschwerden, dann ein bis zwei Wochen nicht. Man kann sich auf die harmlos klingende Beschreibung der nächtlichen Beschwerdebilder verlassen oder ein Blutbild veranlassen. Wiederholte Schmerzen nach körperlicher Belastung ergeben Hinweise auf mechanische Probleme oder eine Überlastung. Bei Kindern mit schwacher Muskulatur und hypermobilen bzw. überstreckbaren Gelenken sind sie besonders häufig. Manchmal ergibt sich bei besonders muskelschwachen Kindern im Verlauf die Diagnose einer andauernden oder zunehmenden Muskelschwäche und -erkrankung. Eine genetisch definierte Anlage- oder Funktionsstörung, meist aus der Krankheitsgruppe der Myopathien. Bei streng einseitigen Kniebeschwerden älterer Kinder wird früh ein Ultraschall und/oder ein Röntgenbild veranlasst, da hier öfters Zysten oder Knochentumore vorkommen. Andererseits klagen einsatzfreudige E-Jugend-Fußballer:innen jeden Montag über das rechte oder linke Knie und stehen am nächsten Wochenende wieder einsatzbereit auf dem Platz. Und dann sind da die blass und traurig blickenden Jugendlichen mit schmerzhaften Gelenken, Müdigkeit, unregelmäßigem Schulbesuch und Hinweisen auf ein beginnendes Schmerzsyndrom (chronisch anhaltende funktionelle Schmerzen über zumindest sechs Monate) oder ein sogenanntes Fibromyalgiesyndrom (ursächlich unklare Muskel- und Skelettbeschwerden mit Triggerpunkten, wechselnder Schwäche, psychischer Verstimmung).
Angesichts der breiten Differenzialdiagnose und hoher Fehlerrisiken erfolgt bei wiederholtem und weiterhin unklarem Beschwerdebild umfangreiche und konsequente Diagnostik, die nie alle Vermutungen klären kann. Es gilt, vertiefte Anamnesedaten zu erheben, ebenso klinische Befunde wie Infektzeichen, Aphten (kleine entzündliche Schleimhautgeschwüre), Augenentzündung, Hautausschläge, Schmerzpunkte, Gangstörung, Gleichgewicht, Sensibilität, Lymphknoten, Milz, Rücken-, Kopf- sowie Klopfschmerz über den langen Röhrenknochen. Blutuntersuchung mit Blutbild, Senkung, Rheumafaktor, antinukleären Antikörpern (haben 30 % der gesunden Kinder und sind Autoantikörper, die auf rheumatische Krankheitsbilder hindeuten können), Suchtestungen auf bakterielle und virale Erreger wie Borrelien und Streptokokken, Epstein-Barr-Virus (EBV) und Mykoplasmen.
Röntgenbilder, Gelenk-, Knochen- und Muskelultraschall oder MRTs sind weitere Möglichkeiten. Meist lässt sich im Verlauf die Erkrankung einer großen Ursachengruppe zuordnen: rheumatischer Formenkreis, orthopädisches Problem, postinfektiöses oder infektiöses Geschehen, Myopathie- oder Knochenerkrankung, Systemerkrankung, Psychosomatik. Es folgen Überweisung oder Behandlungsbeginn.
Kinderrheuma (juvenile idiopathische Arthritis)
Über etliche Jahre sollte die Diagnose einer rheumatoiden Arthritis schnell gelingen und frühzeitig durch ein hochprofessionelles interdisziplinäres Team der Kinder-Rheumatologie betreut werden. In den Krankenhauszentren erfolgte die präzise Klassifikation, eine engagierte und oft sehr aufwändige Therapie, altersangepasste Schulungen und die Familienbegleitung. Heute übernehmen Kinderärzt:innen vermehrt Diagnostik und Therapie, nachdem die wenigen Rheumaabteilungen für Kinder geschrumpft und überlastet sind. Die Klassifikation der verschiedenen rheumatischen Arthritisformen kann beim selben Kind wechseln, mit der Zeit und zwischen den Zentren, und hilft wenig zum Verständnis der komplexen Krankheit. Genetik, externe Trigger und immunologische Faktoren spielen eine ursächliche Rolle mit noch unverstandenen Abfolgen und Interaktionen. Entzündliche Schwellung und Überwärmung sowie Schmerz und Bewegungseinschränkung eines oder mehrerer Gelenke über vier bis sechs Wochen erlaubt die Diagnose. Systemische Beeinträchtigung wie Exantheme (Hautausschläge), Fieber, Lymphknotenschwellungen, Augenentzündung, Muskelbeteiligung usw. modifizieren Verlauf und Diagnose. Oligoarthritis liegt vor bei bis zu vier entzündeten und schmerzhaften, meist großen Gelenken, Polyarthritis bei mehr als fünf Gelenken. Die Ausschlussdiagnostik ist anspruchsvoll, es ist kein einfacher Laborbeweis vorhanden.
Spondylarthritis betrifft die kleinen Wirbelgelenke älterer Kinder: Teils besteht chronischer Rückenschmerz, teils Sehnenentzündungen, teils sind die Kinder HLA-B27-positiv (genetischer Marker), teils treten Schuppenflechte, Darmentzündung oder Augenentzündung auf. Es kommt über die Jahre zu motorischen Einschränkungen.
Postinfektiöse oder reaktive Arthritis ereignet sich nach Streptokokken (rheumatisches Fieber), Bakterien (z. B. Salmonellen) oder Viren (z. B. Ringelröteln). Sie kann folgenlos abheilen.
Der systemische Lupus erythematodes (sLE) ist eine sehr seltene Systemerkrankung und betrifft neben dem Bewegungsapparat auch Haut, Nieren, Gehirn, Herz und weitere Organe. Besonders verwirrend sind Krankheitsverläufe mit vorwiegend neurologischer oder psychiatrischer Symptomatik – eigentlich ist bei sLE alles möglich. Doppelstrang-DNA-Ak (Antinuklearer Antikörper gegen spezifische Zellkernbestandteile), positiver Coombstest und Komplementmangel werden im Labor gefordert, um die Diagnose eines systemischen Lupus erythematodes zu sichern. Medikamente (Antiepileptika) können einen Lupus erythematodes (LE) auslösen. Frauen mit sLE können Antikörper an die Neugeborenen übertragen und diese erkranken am neonatalen Lupus. Gefährlich für die Neugeborenen und Säuglinge ist während der ersten Lebenswochen eine mögliche Herzrhythmusstörung.
Juvenile Dermatomyositis ist erkennbar an Schwäche, erhöhten Muskelenzymen, Muskelveränderungen, Fotosensibilität und verschiedenen Hautveränderungen. Ursache sind erneut Genetik und externe Auslösefaktoren. Auch dies ist eine sehr seltene Erkrankung.
Sklerodermie ist eine chronische Autoimmunkrankheit mit zunehmender Fibrose. Teilweise ist sie lokal und bandförmig auf die Haut beschränkt, teilweise diffus mit Befall innerer Organe (Herz), diversen Hautveränderungen und Bewegungsstörungen. Typisch sind versteifte Hände mit Hautatrophien (Gewebeschwund oder sichtbare Ausdünnung der Haut) und Vernarbungen (bei Kinder extrem selten).
Sjögren-Syndrom bezeichnet eine Autoimmunkrankheit mit wiederholter Ohrspeicheldrüsenentzündung, trockenen Augen, Mundtrockenheit und Gelenkentzündungen.