Vorwort

Neugeborene und Säuglinge

Gesundheitsprobleme bei Kindern nach dem Säuglingsalter

Behinderung, Erziehung, Förderung, Rehabilitation und ärztliches Handeln

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Neugeborene und Säuglinge

Schwangerschaft

Kinder bekommen ist, statistisch gesehen, teuer, belastend und risikoreich. Tatsächlich ist es für die meisten Frauen und Männer dennoch ein elementarer Wunsch, eine Erfüllung und vor allem im Rückblick die sinnvollste Tat im Leben. Aktuelle Zukunftssorgen wischen wir weg, denn das Menschengeschlecht war schon immer in Kalamität.

Genetik und Epigenetik

Wir hätten uns gerne vor allem gesund und munter; sind wir aber nicht. Vielmehr gibt es familiäre Leiden, individuelle Krankheiten, psychische Krisen und soziale Risikofaktoren. Was bekommt das ungeborene Kind davon mit? Die schlechten Gene der Vorfahr:innen? Die eigenen Belastungsstörungen? Umweltgifte, ungesundes Essen und Trinken? Stress im Job und in der Beziehung? Praktisch in jeder Schwangerschaft lauert eine Schuld. Für Krankheiten und Behinderungen eines Kindes sich verantwortlich und schuldig zu fühlen, ist eine vor allem mütterliche Grundkonstellation. Jede Elternzeitung verkauft sich besser, wenn sie diese unendliche Geschichte der meist mütterlichen Schuldzuweisung aufrührt. Es ist das Wesen der Elternschaft, schuldig zu werden und diese Schuld tapfer und aufrecht zu tragen, weil Eltern eben stark sind.

5 % der Kinder leiden an einer wichtigen genetisch verursachten Krankheit, davon 3 % an angeborenen Behinderungen. 96 % der chronischen Krankheiten im Kindesalter haben auch genetische Ursachen. Defekte in einzelnen der 23.000 menschlichen Gene verursachen ca. 8.000 mehr oder weniger seltene Krankheiten, weitere werden hinzukommen. Epigenetik meint die Regulation genetischer Information, um auf individuelle Erfordernisse des Körpers im Dialog mit der Umwelt besser reagieren zu können. Durch Ergänzungen an der DNA (Methylierungen) werden individuelle biografische Erfahrungen vererbbar und frühkindlich erworbene biochemische Veränderungen können bei identischer DNA genetische Funktionen umprogrammieren. So werden z. B. Händigkeit, Sprachentwicklung, Autismus und Schizophrenie auch epigenetischen Phänomenen zugeschrieben. Das genetische Programm ist keinesfalls starr, sondern anpassungsfähig und störbar (ohne fassbare DNA-Veränderung).

Die maximale genetische Diagnostik ist die Exonsequenzierung, also die Analyse aller 60 Millionen Basenpaare im Genom. Durchschnittlich werden pro Person 30.000 Abweichungen bemerkt – und diese gilt es, zu bewerten und zu gewichten. Genetische Diagnostik hilft, Krankheiten zu verstehen, deren Ursachen zu erkennen, den Verlauf abzuschätzen sowie gezielt und präzise zu behandeln. Sie hilft auch, befürchtete Krankheiten auszuschließen.

Angeborene Behinderungen gelten als häufigste Todesursache im ersten Lebensjahr in den Industrieländern.

Risikoschwangerschaft

Armut, Ausgrenzung, Migration, Alter unter 18 oder über 40, mehr als zwei Kinder, Untergewicht, Fehlgeburten in der Anamnese, Nierenbeckenentzündungen, Uterusbesonderheiten, vorzeitige Wehen, Rauchen, Alkohol, Drogen, harte körperliche Arbeit, lange Arbeitswege, hoher Blutdruck, Eiweißausscheidung im Urin, vermehrtes Fruchtwasser, vorzeitige Wehen, Zwillinge, Bauch-OP in der Anamnese und Anlagestörungen des Mutterkuchens ergeben statistisch erhöhte Risikofaktoren für Frühgeburtlichkeit und Neugeborenenkomplikationen. Dieses gar nicht kleine Mutter-Kind-Kollektiv sollte besser in der Klinik und nach gut überwachter Schwangerschaft entbinden.

Frühgeburtlichkeit ergibt die zweithäufigste Todesursache im ersten Lebensjahr in den Industrienationen. An vierter Stelle stehen Schwangerschaftskomplikationen kurz vor Geburt.

Gutes Verhalten während der Schwangerschaft für gute Kindesentwicklung

Vitamine, Mineralien und Spurenelemente für die werdende Mutter und ihr ungeborenes Kind sind nun besonders wichtig, bestenfalls als ausgewogene mediterrane Diät, ebenso Ruhe, viel Schlaf und Yoga. Allerdings führen weder nicht ganz so gesundes Essen noch moderater Stress zu Entwicklungsstörungen.

Risikofaktoren für Bindungsstörungen zwischen Mutter und Kind sind der Tod von nahen Angehörigen oder eine schwere Krankheit bei einem anderen Kind, Depression und psychische Krankheiten der Mutter, Partnerschaftskonflikte, Scheidung oder Trennung, ungewollte Schwangerschaft, finanzielle Not, Jobverlust, extreme Frühgeburt, Drogen und Alkohol sowie wenn ein anderes Kind bereits aus der Familie entfernt wurde.

Alkohol in der Schwangerschaft kann zu schweren und lebenslangen Störungen beim Kind führen, dem fetalen Alkoholsyndrom (FAS). Wissenschaftlich ergeben die Selbstauskünfte der Mütter keine zuverlässige Einschätzung. 2 – 4 % aller Neugeborenen sollen davon betroffen sein. Die Diagnose FAS bedeutet für die Kinder eine lebenslange, schwere Krankheit und Behinderung und vor allem ein lebenslanges Stigma. Pflegekinder mit FAS-Verdacht werden abgelehnt und Heime wehren deren Aufnahme ab. Grund sind die schweren und angeblich kaum behandelbaren Verhaltensprobleme. Im konkreten Alltag erweist sich die Diagnose FAS meist als Bedrohung für die Kinder und nicht als Anlass für qualifizierte Hilfe.

Wichtige Geburtsvorbereitungen

Egal wie kritisch Großeltern einem jungen Paar gegenüberstehen: Nachdem ihre Kinder Eltern werden, brauchen sie familiäre und gesellschaftliche Hilfe. Die Mutter und selbst problematische Partner:innen sollen eine ordentliche Bleibe, finanzielle Unterstützung und wo nötig mitmenschliche Hilfe bekommen. Die mangelhafte Unterstützung junger Familien gefährdet bzw. verhindert die gesunde Entwicklung der nächsten Generation.

Der Vater fühlt sich schnell als Verlierer im vergrößerten Familiensystem: Die Frau hat weniger Lust und Zeit für ihn und selbst im Bett stört ein kleiner Schreihals. Da hilft nur „Nestbau“, intensives Mittun in der Pflege und Stunden der Nähe mit dem Neugeborenen. Grimassen schneiden, frühe Tondialoge, Herumtragen und Füttern helfen dem Vater und der kindlichen Entwicklung. Großeltern dürfen helfen und die Eltern entlasten – aber sich nicht einmischen. Seien Sie vorsichtig mit übergriffigen Angehörigen und lassen Sie niemals eine Vater-Schwiegermutter-Allianz zu.

Stillen kann und soll man in der Schwangerschaft „üben“, sagen die erfolgreichen Stillbücher und bestätigen die Mütter. Ebenso das Gebären: Wenn es ernst wird, ist die gute und erfahrene Hebamme unentbehrlich. Impfungen für werdende Mütter und werdende Väter werden zunehmend angenommen (z. B. Keuchhusten), um das Neugeborene besser zu schützen. Vitamine gibt es inzwischen regelhaft, Rohmilch und rohes Fleisch werden gemieden. Die Schilddrüse wird ebenso überwacht wie gefährliche Infektionen während der Schwangerschaft. Schwangerenvorsorge ist sinnvoll. „Natürliche“ Schwangerschaft meint nicht „unbegleitet“.