Vorwort

Neugeborene und Säuglinge

Gesundheitsprobleme bei Kindern nach dem Säuglingsalter

Behinderung, Erziehung, Förderung, Rehabilitation und ärztliches Handeln

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Gesundheitsprobleme bei Kindern nach dem Säuglingsalter

Entzündungen und periodische Fiebersyndrome

Dieses Kapitel stellt eine Überforderung dar. Unklare, verwirrende Immunreaktionen führen zu seltenen, komplexen Krankheiten. Weder die jeweilige Krankheitsentstehung noch deren Behandlung stehen auf sicherem Grund. Aber gerade über diese Krankheitsgruppe haben wir viel diskutiert: Postcovid, Chronic-Fatigue-Syndrom, Impfkrankheiten, Kawasaki, PIMS. Sie sind Furcht und Schrecken der Kindergärten, Mittagstische und Elternforen.

Offensichtlich können sowohl Infektionskrankheiten als auch Impfungen zu ganz unterschiedlichen Entzündungsreaktionen führen und verschiedene seltene Krankheiten anstoßen. Impfungen weit seltener als Infektionskrankheiten.

Autoinflammatorische Krankheiten

Neben den vielfältigen Infektionskrankheiten und den umfangreichen Autoimmunkrankheiten durch Antikörper (B-Zellen) oder spezifische Immunzellen (T-Zellen) finden sich Entzündungskrankheiten, die aus genetischen oder erworbenen Gründen grundlegend die Abwehrkaskade im Körper verändern. Der dritte Weg der Entzündungskrankheiten ergibt besondere Schwierigkeiten für Diagnostik und Therapie. Bei sogenannten autoinflammatorischen Krankheiten werden unzureichend bekannte Regulations- und Synthesedefekte angenommen. Die drei Entzündungswege können sich, unterschiedlich gewichtet, vermischen, mit und ohne Fieber.

Rheumatische Krankheiten

Bei mehr als sechs Wochen bestehenden Gelenkschwellungen und nach Ausschluss anderer Ursachen spricht man von einer rheumatischen Erkrankung. Sind wenige große Gelenke betroffen, so handelt es sich um eine Oligoarthritis, bei vielen kleinen Gelenken um eine Polyarthritis und bei hohem Fieber und Exanthem (Hautausschlag) um eine systemische Arthritis. Findet sich eine Psoriasis (Schuppenflechte), so sprechen wir von Psoriasisarthritis und bei genetischem Nachweis eines HLA-B27-Status (genetischer Marker) und Wirbelsäulenbefall von einer Enthesitis (früher Morbus Bechterew). Die korrekte Klassifikation fordert die Rheumatolog:innen und führt nicht immer zur Einigkeit. Verschiedene Antikörper können vorliegen.

Das familiäre Mittelmeerfieber führt zu wiederholten, kurzen Fieber- und Schmerzattacken mit Gelenkentzündung, Hautrötungen (Fußrücken), Entzündungen im Pleuraspalt (Spaltraum in der Brusthöhle) oder Bauchfell und heftigen Schmerzen (Bauch, Muskeln, Hoden). Auslöser sind z. B. Stress, Infekte, Impfungen oder Periode; teils gibt es wöchentliche Attacken, teils sehr seltene. Das mitverantwortliche Gen ist im Mittelmeerraum deutlich häufiger. Das Medikament Colchicin hilft gut, ist aber in kindgerechter Präparation zurzeit nicht auf dem Markt. Gefürchtet wird als Folge der chronischen Entzündung die Amyloidose. Die Erkrankung ist selten.

Amyloidose führt zur Ablagerung fehlgeformter Eiweißmoleküle in unlöslicher Form (sogenanntes AA-Amyloid-Protein). Meist sind die Nieren besonders betroffen, aber auch andere Organe mit zunehmendem Organversagen. Chronische Entzündungen aller Art können zur Amyloidose führen: neben dem familiären Mittelmeerfieber auch rheumatische Krankheiten sowie Knochen- und Darmentzündungen. Gegen die Amyloidose findet sich neuerdings eine Therapie. Wichtig ist die Vermeidung einer chronischen Entzündung.

Das Hyper-IgD-Syndrom, ebenfalls genetisch verursacht, führt zu akutem Fieber, hohen Entzündungszeichen, Milz- und Lymphknotenschwellungen, Hautveränderungen, Bauchschmerzen und Erbrechen, oft als Folge von Stress, OPs oder Impfungen. Erhöhte Immunglobulin-D-Spiegel sind diagnostisch nicht zuverlässig.

PFAPA (Periodisches Fieber, Aphten [kleine entzündliche Schleimhautgeschwüre], Rachenentzündung und Lymphknotenschwellung) findet sich vor allem bei zwei- bis fünfjährigen Kindern. Über vier bis sechs Tage hohes Fieber und alle drei bis sechs Wochen wiederholt sich die Krankheit mit identischen Symptomen. Manchmal helfen recht schnell ein bis zwei Löffel Cortisonsaft. Die Ursache ist unbekannt – die Attacken hören spontan mit zunehmendem Alter auf. Die Krankheit wird aktuell (zu) häufig diagnostiziert.

Morbus Behcet beginnt meist bei Jugendlichen: Hauptsymptome sind große schmerzhafte Aphten im Mund, Aphten im Bereich des Genitals und Augenentzündungen. Daneben treten Hautveränderungen, neurologische Störungen und verschiedene Gefäßveränderungen auf. Eine genetische Diagnostik hilft.

Gefäßentzündungen

Die komplexeren Krankheiten werden unterteilt in Entzündungen der kleinen Gefäße, der mittleren Gefäße und der großen Gefäße. Ursachen können sein: Infektionen, Autoimmunphänomene, genetische Krankheiten, Medikamente, Entzündungskrankheiten. Nach Corona wurden entsprechende Krankheiten vermehrt beschrieben.

Takayasu-Arteriitis

Diese Erkrankung betrifft die Hauptschlagader (Aorta) und die großen Gefäße. Die Diagnose ist schwierig: Kopfschmerz, Blutdruck- und Pulsbesonderheiten, Schlaganfälle, Bauchschmerzen, Thrombosen. Gefäßultraschall und Angiografie führen zur meist späten Diagnose dieser sehr seltenen Krankheit.

Kawasaki-Syndrom

Das Kawasaki-Syndrom ist eine systemische Entzündung mittlerer Gefäße mit bevorzugter Erkrankung der Koronararterien des Herzens. Es kommt dort zu gefährlichen Wandschädigungen mit Aussackungen. Die Ursache von Kawasaki ist weiterhin unbekannt. Typisch sind Fieber über mehr als fünf Tage, Schwellung und/oder Rötung von Händen und/oder Füßen, Bindehautentzündung ohne Eiterbildung, Erdbeerzunge und Rachenentzündung, Lymphknotenschwellung. Zusätzlich möglich sind Infektzeichen der oberen und unteren Luftwege, Durchfälle, Gelenk- und Muskelbeschwerden, Herzinsuffizienzzeichen durch Herzmuskelentzündung, Hirnhautentzündung, Blasenentzündung. Im Labor zeigt sich eine heftige Entzündungsreaktion (hohe Leukozyten- und Thrombozytenzahl, hoher Wert für C-reaktives Protein und erhöhte Blutsenkung). Entscheidend wichtig ist die Herzechodiagnostik mit Darstellung der Koronarien (Herzkranzgefäße). Wichtig sind die frühe Diagnose und die frühe Therapie, um anhaltende Folgeschäden zu vermeiden. Eine analoge Erkrankung nach einer Covidinfektion (PIMS) ist bekannt.

Purpura Schönlein-Henoch

Purpura Schönlein-Henoch bezeichnet eine häufig bei Kindern vorkommende Entzündung von kleinen Gefäßen durch IgA-Ablagerungen (ein spezifischer Antikörpertyp), oft Folge von Infektionen durch Streptokokken A, Mykoplasmen oder Adenoviren (Infektionsursachen mit besonders hoher Korrelation). Neben einem typischen Hautausschlag vor allem an Armen, Beinen und Gesäß kommen Gelenkbeschwerden vor, Bauchschmerzen und eine Nierenbeteiligung mit Eiweiß oder Blut im Urin. Selten kommt es zu Krampfanfällen, Bewusstseins- oder Verhaltensstörungen. Die Darmentzündung kann eine Invagination (Darmverschlingung) auslösen. Manchmal treten wiederholt Rückfälle auf.

Seltene weitere Vaskulitissyndrome sind bekannt. Sie werden gesucht, nachdem ganz verschiedene Organsysteme eines Kindes gleichzeitig von einer unklaren entzündlichen Krankheit betroffen sind wie Lunge, Niere, ZNS, Darm und Haut. Man bestimmt verschiedene Autoantikörper (ANCA, ANA), führt Biopsien durch und untersucht große und mittlere Gefäße durch Ultraschall.

Systemische Autoimmunkrankheiten

Typisches Beispiel ist der systemische Lupus erythematodes, eine Erkrankung von jugendlichen Mädchen. Bedingt durch Genetik, Infektionen, Umwelt, Medikamente und Östrogen werden Antikörper gegen Zellkernstrukturen gebildet. Erkranken können alle Organe, speziell die Haut. Es kommt zu vielen Beschwerden und Funktionsstörungen. Solche Multiorgankrankheiten finden sich in den differentialdiagnostischen Überlegungen vielfältiger anhaltender Krankheiten. Hirn, Herz, Lungen, Leber, Nieren, Haut; alles kann betroffen sein. Häufig wird die Doppelstrang-DNA als Labormarker für diese schwere Krankheit bestimmt, und nur sehr selten wird tatsächlich die Diagnose gestellt.

Systemische Autoimmunkrankheiten werden bei zahlreichen chronischen Störungsbildern vermutet, bei denen eine klare Diagnose misslingt. Es sind viel zitierte Erklärungsmodelle nach Impfungen, bei anhaltenden Schmerzen, Erschöpfungszuständen oder Infektanfälligkeit. Systemische Autoimmun- und Gefäßkrankheiten bei anhaltenden Beschwerden nach Corona werden ebenso diskutiert wie bei Psychosen, Teilleistungsstörungen und Verhaltensstörungen. Nicht präzise erforschte systemische Krankheiten ergeben Erklärungsmodelle für zahlreiche Familien mit anhaltenden unklaren Gesundheitsstörungen bei ihren Kindern.

Juvenile Dermatomyositis

Die Ursache erscheint multifaktoriell zusammengesetzt aus Genetik und Autoinflammation, postinfektiösen Autoimmunphänomenen, Mitochondrienveränderungen und Triggerfaktoren. Vermehrt werden Entzündungsfaktoren gebildet (Interferone), die zu Muskelentzündungen und Hautveränderungen führen. Ganz im Vordergrund stehen Muskelschwäche, Erschöpfung und Muskelentzündung. Weiterhin zeigen sich Symptome wie Arthritis, Fieber, Herzerkrankungen, Lungenerkrankung, kognitive Störungen. Meist finden sich Antikörper wie bei systemischem Lupus und rheumatischen Erkrankungen und es kommt zu einer Immunvaskulitis der kleinen Gefäße (das Gefäß verschließende und verödende Entzündung durch Immunkomplexablagerungen an der Gefäßwand). Die entzündlichen Veränderungen betreffen viele Organe wie Darm, Nieren, Haut und Gehirn.

Fibromyalgie

Das jugendliche Fibromyalgiesyndrom besteht aus Schmerz, Erschöpfung, Konzentrationsstörungen und Schlafstörungen. Der Schmerz scheint verursacht durch zentrale Regulationsstörungen mit einem Schmerzverstärkungsmechanismus (genetisch mitbedingt), daneben wird eine Neuropathie (nicht entzündliche Nervenfunktionsstörung) kleiner Nerven vermutet (ähnlich dem Morbus Sudeck, einer Schmerzstörung nach Extremitätenverletzung mit massivem Brennschmerz und zunehmender Funktionsstörung der Extremität). Es gibt besonders schmerzempfindliche Druckpunkte am Körper. Weiterhin finden sich Hinweise auf hormonelle Fehlregulationen, vor allem des Stresshormons Cortisol. Depressive Verstimmung und Schlafstörungen kommen regelhaft hinzu mit eindeutig veränderter Schlafarchitektur.

Üblicherweise wird Ausdauersport vorgeschlagen in leichter bis mittlerer Intensität (mit Pulsuhr), das Antidepressivum Amitriptylin abends kann gut helfen sowie verschiedene Formen der Psychotherapie sowie Pregabalin gegen Schmerzen. Ambulante oder stationäre Schulungen können erfolgreich sein (z. B. in Baden-Württemberg die Schmerzklinik Stuttgart oder die Rheumaklinik Garmisch).

Long Covid oder Postcovid

Seit Corona haben zahlreiche Jugendliche und wenige jüngere Kinder anhaltende körperliche Beschwerden nach der Infektion. Zu Beginn der Pandemie waren es vor allem anhaltende Leistungsminderungen mit raschem Puls und Kurzatmigkeit bei reduzierter Lungenfunktion. Die Betroffenen wurden in den Wald geschickt, sollten viel spazieren gehen und nicht zu Hause bleiben. Alle diese Kinder in meiner Praxis wurden gesund, zwei erkrankten an einer Myokarditis (Herzmuskelentzündung), die folgenlos abheilte.

Eine andere Gruppe betroffener Kinder und Jugendlicher zeigte teils erhebliche Störungen von Konzentration, Aufmerksamkeit, geteilter Aufmerksamkeit und Ausdauer. Das Kurzzeitgedächtnis war beeinträchtigt, es bestand Lärmempfindlichkeit und rasche Ermüdung. Die Symptome ähnelten einem postcommotionellen Syndrom mit Hirnfunktionsstörung nach Gehirnerschütterung. Angenommen wurde und wird für beide Krankheitsbilder eine zeitlich begrenzte mentale Funktionsstörung durch Störungen im Nervennetzwerk bei Erhalt der eigentlichen Nervenzellen. Bei Coronakindern fanden sich Antikörper gegen Stützzellen, Nervensynapsen, Gefäßentzündungen und Durchblutungsstörungen in verschiedenen Hirnarealen. Wie bei postcommotionellem Syndrom sollen die Kinder kein zweites Kopftrauma erleiden, also kein Kontaktsport, keine Medien, ruhige Umgebung, langsam ansteigende kognitive Anforderungen. Binnen eines Jahres sollte alles wieder gut sein. Dies gelang bei den meisten Kindern, nicht bei allen.

Vor allem Kleinkinder zeigen schließlich bleibende Sprach-, Verhaltens und Entwicklungsstörungen mit neuen Formen des Autismus und sozialen Defiziten. Wahrscheinlich sind sie die am schwersten von der Coronapandemie betroffene Personengruppe.

Burn-out-Syndrome bei Jugendlichen und Kindern entstanden vermehrt durch Überforderung während der Coronapandemie und durch kranke oder überforderte Eltern, finanzielle Not, Isolation und Ängste. Nach Wiederbeginn der Präsenz in der Schule waren morgendliches Aufstehen, lange Schulaufenthalte und gar Hausaufgaben unmögliche Zumutungen. Die Idee der Schule, aufzuholen und mehr Leistung einzufordern, kollidierte mit den verringerten tatsächlichen Möglichkeiten der Schülerinnen und Schüler.

Eine weitere und anhaltende Folge der Coronapandemie sind Jugendliche und Eltern mit gefühlten andauernden Beeinträchtigungen durch Impfung oder Corona. Ihr Körper und ihre Empfindungen fühlen sich nicht mehr so an wie zuvor: eine Mischung aus eindeutiger posttraumatischer Belastungsstörung und schmerzlichem Verlustgefühl bezogen auf körperliche Fitness und Vitalität.

Das Chronic-Fatigue-Syndrom

Bis vor wenigen Jahren wurde die Existenz der Krankheit angezweifelt, zumindest in deutschen Universitäten. Lediglich zwei mutige Forscherinnen (München und Berlin) hielten einsam dagegen. Bekannt war die Krankheit vor allem in Australien, USA und Kanada meist nach einer Epstein-Barr-Infektion. Eine schlüssige Ursache für die schwere Erkrankung findet sich bislang nicht. Die betroffenen Jugendlichen fühlen sich körperlich erschöpft und erholen sich selbst von kleinen Anstrengungen nur verzögert und nach Tagen. Sie werden muskelschwach, verlieren Gewicht, liegen viel im Bett, wollen es dunkel haben, ertragen kaum etwas, auch nicht Musik. Selbst Essen wird zu anstrengend. Einzelne Betroffene kommen in einen desolaten Zustand mit Rollstuhl, Magensonde und jahrelanger Bettlägerigkeit.

Die Therapiekonzepte des Fibromyalgiesyndroms mit langsam sich steigerndem Ausdauersport scheinen hier nicht zu greifen. Übungsempfehlungen werden sogar als falsch bezeichnet, da sie den Körper weiter schwächen würden. Problematisch sind auch psychotherapeutische Maßnahmen, wir haben keine Therapeut:innen gefunden, die Patient:innen aufsuchen wollten. Die Selbsthilfe legt Wert darauf, dass es sich nicht um eine funktionelle oder psychiatrische Erkrankung handelt. Psychotherapie sei kein Schlüssel in Richtung Heilung (das sieht die angelsächsische Literatur anders), die gängigen Medikamente wie Amitriptylin oder Sertralin seien sinnlos und falsch (wobei auch das der Prüfung bedarf). Während bei Schmerzsyndromen und Fibromyalgie Entlastung, Ruhe und Rückzug schaden, sei bei Chronic-Fatigue-Syndrom genau dieses notwendig und richtig. Die Diskussionen sind nicht abgeschlossen. An der Uniklinik Freiburg wurde eine Spezialambulanz aufgebaut.