Vorwort

Neugeborene und Säuglinge

Gesundheitsprobleme bei Kindern nach dem Säuglingsalter

Behinderung, Erziehung, Förderung, Rehabilitation und ärztliches Handeln

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Gesundheitsprobleme bei Kindern nach dem Säuglingsalter

Krampfanfälle (Neurologie)

Fieberkrämpfe

Bei zahlreichen Kindern zwischen sechs Monaten und sechs Jahren vermag Fieber oder eine infektbedingte Immunreaktion die Krampfschwelle bis zum epileptischen Anfall zu senken. Fieberkrämpfe haben keine einheitliche oder vergleichbare Ursache und keinen vergleichbaren Verlauf. In der Summe erkranken 2 – 5 % aller Kinder an zumindest einem Fieberkrampf. 30 % davon erleiden einen zweiten Anfall. Nach zwei Fieberkrämpfen steigt die Wahrscheinlichkeit weiterer Fieberkrämpfe deutlich an. Weitere Risikofaktoren für wiederholte Fieberkrämpfe sind Alter unter einem Jahr beim ersten Anfall, früher Fieberkrampf als anfängliches Zeichen eines beginnenden Infekts, Fieberkrampf mit wenig Fieber, Serienbildung mit zumindest zwei Fieberkrämpfen binnen weniger Tage und vorbestehende Entwicklungsstörung. Die Wahrscheinlichkeit, dass Fieberkrämpfe in eine Epilepsie übergehen, beträgt insgesamt 5 %. Tatsächlich jedoch bei einem Kind ohne Risikofaktoren nur 1 %, bei neurologischer Vorschädigung 30 %, bei starker familiärer Epilepsiebelastung 20 %. Es ist wichtig, nach einem ersten Fieberkrampf eine präzise Risikoanalyse vorzunehmen, und es gibt nach einem ersten epileptischen Anfall etliches zu besprechen: Der Fieberkrampf ist für die anwesenden Eltern oder Betreuer:innen ein traumatisches Ereignis. Die Mehrheit denkt, das Kind würde nun sterben. Es reißt plötzlich starr die Augen auf, wird blau und steif, hat heftige Zuckungen, kaum noch Atmung, keinerlei Bewusstsein und Reaktion. Die panischen Bezugspersonen treffen oft auf eine:n gelassene:n Notärzt:in, insbesondere falls der Anfall bereits zu Ende ist, und danach auf eine gelassene Klinik, die inzwischen vorschlägt, rasch wieder nach Hause zu gehen – mit dem Kind.

In der Folge kontrollieren die Eltern ihr Kind engmaschig, immer in Sorge, den nächsten Anfall nicht rechtzeitig zu bemerken. Tatsächlich beginnen 15 – 20 % aller Epilepsien mit Fieberkrämpfen, Kleinkinder haben das höchste Risiko lange dauernder Anfälle (Status epilepticus) und die Sterblichkeit im Status beträgt weiterhin ca. 5 %. Schließlich führt hohes Fieber zu einem erhöhten Sauerstoff- und Energiebedarf der Nervenzellen und die Notfallmedikamente verlieren bereits nach fünf bis zehn Minuten an Wirkung.

Besonders Familien auf dem Land wissen um die langen Anfahrtswege von Notarzt bzw. Notärztin, sie müssen den Fieberkrampf eigenverantwortlich bewältigen. Praktisch hat sich folgendes Vorgehen bewährt, das allerdings nicht der Leitlinie entspricht: Bei Infekt oder Fieber bleibt das Kind mit Fieberkrampfrisiko zu Hause und es schläft nachts bei den Eltern im Schlafzimmer. Fieber wird früh gesenkt (dies ist bei einer Gruppe von Fieberkrämpfen wirksam) und zur Nacht gibt es ein Fieberzäpfchen, um hohes Fieber nicht zu übersehen. Im Anfall deckt man das Kind bei Licht auf, um den Anfall später beschreiben zu können, dann Notverordnung holen und geben. Auf keinen Fall die Dosis reduzieren, bei Diazepam rectal die Pobacken danach zuhalten, bei Buccolam für die Wangentasche das Medikament nicht abrupt gegen die Zähne spritzen, sonst geht Lösung verloren. Dauert der Anfall trotz Notverordnung fünf Minuten, so ruft man völlig zu Recht den/die Notärzt:in. Endet der Anfall innerhalb der fünf Minuten, erkennbar am Schließen der Augen und am tiefen Nachschlaf, ist kein:e Notärzt:in nötig. Man soll aber dableiben, Seitenlage einrichten und freie Atmung gewährleisten. Bei Unsicherheit bezüglich Anfallsende, ist ein Schmerzreiz erlaubt: Nur im Anfall führt er zu keiner Reaktion.

Epilepsien

Es gibt über 50 verschiedene Epilepsiesyndrome und weitere kommen künftig hinzu. Die Epilepsie kann harmlos sein oder das Kind schwer schädigen, die Anfallsformen können diskret bleiben oder sehr schwer sein, die Therapie vollständig und zuverlässig wirksam oder weitgehend wirkungslos, die Heilungsrate 100 % oder aber 0 %. Es kommt auf das jeweilige Syndrom und die Epilepsieursache an. Vor Behandlungsbeginn das Syndrom und die Ursache zu kennen, erleichtert die Therapie und klärt die notwendige Therapiedauer. Rückfallrisiko und Prognose lassen sich besser abschätzen und man findet aus der Therapie wieder heraus oder besser nicht. Die Einordnung einer Epilepsie fällt schwer und ist fehlerhaft, gerade wenn wichtige Informationen noch fehlen. Anfallsformen, EEG, Lebensalter, Neurologie, MRT-Befund und Verlauf sollen und müssen zur Diagnose führen, denn weder Labor noch Genetik bestätigen bislang die meisten Syndromzuschreibungen.

Manche Eltern wünschen sofort Medikamente, um den furchtbaren Anfällen zu begegnen, andere möchten keine. Für sie sind Antiepileptika verzichtbar aus Angst vor Verhaltensveränderungen oder einem Todesrisiko. Alternative Angebote finden sich genug. Ein Kind mit BNS-Anfällen (Blitz-Nick-Salaam bei West-Syndrom, einer schwer verlaufenden Säuglingsepilepsie) kann bei sehr schneller, erfolgreicher Diagnose und Therapie ein Gymnasium besuchen, wird jedoch ohne Medikation mehrfach und schwer behindert. Nach 50 tonisch-klonischen Anfällen bleibt ein Kind in der Regel geistig behindert, nach nicht behandelten frühkindlichen Absencen (Bewusstseinsausfälle bei Epilepsie) bleiben Sprach- und Entwicklungsstörungen, nach Absencen des Schulalters, ohne Therapie, anhaltende Lernstörungen. Eine Herdepilepsie durch eine Narbe oder Architekturstörung der Hirnrinde ohne Therapie verschlechtert sich, die Kinder verlieren an Kompetenz und sozialer Teilhabe. Therapie kann also nötig sein und sogar gut vertragen werden, der Erfolg entscheidet. Gelingt die Therapie, herrscht allgemeine Zufriedenheit. Aber die Erfolge sind begrenzt. Selbst bei gut behandelbaren Epilepsien kommen die besten Medikamente manchmal nicht über 60 % Erfolgsquote hinaus und es bedarf wiederholter Versuche. Bei therapieschwierigen Epilepsien liegen die Erfolge um 10 – 20 % und ca. 20 % der Epilepsien bleiben therapieresistent. Nebenwirkungen gerade bei Kombinationstherapien sind nicht selten, der gemeinsame Weg zwischen Eltern, Kind und Ärzt:in kann lang und mühsam sein.

Neugeborenenanfälle

Neugeborene unterscheiden sich bei epileptischen Anfällen von älteren Kindern. Die epileptische Aktivität generalisiert selten, die Motorik wird nur diskret auffällig, eher rasche Zuckungen, mal rechts, mal links, meist im Gesicht. Pulsabfall, Atempausen, veränderte Gesichtsfarbe und Änderungen der Körperspannung stehen im Vordergrund. Hilfreich ist meist ein EEG während der anfallsverdächtigen Phänomene, aber leider nicht immer, denn die Interpretation eines Früh- oder Neugeborenen-EEG bleibt schwierig.

Myoklonische Anfälle

Bei Säuglingen mit heftigen Schlafmyoklonien (Muskelzuckungen im Schlaf) soll das EEG helfen, Epilepsie auszuschließen. Bei Kleinkindern kann im myoklonischen Sturzanfall ein EEG-Zusammenhang fehlen, bei Jugendlichen mit Myoklonie findet sich dagegen ein heftiger Polyspike-Komplex im EEG, also etliche spitze Wellen, die nicht übersehen werden können. Die kurze Muskelzuckung kann epileptisch sein oder nicht, das EEG hilft nicht immer zuverlässig.

BNS-Anfälle

Ab dem zweiten Lebensmonat und bei zuvor völlig gesunden Kindern (15 %) sind BNS-Anfälle möglich (BNS steht für „Blitz-Nick-Salaam“). Nach dem Erwachen folgt eine Phase in sich gekehrter Beeinträchtigung. Das Kind weitet die Augen, versteift den Schultergürtel, streckt oder hebt die Arme blitzartig, erschlafft wieder. Die Dauer des Anfalls schwankt um wenige Sekunden. Einzelne oder 20 Wiederholungen der kurzen Anfälle sind möglich und während der Serie wirkt das Kind in sich gekehrt; danach Müdigkeit und manchmal Weinen. Wird die Erkrankung bemerkt, möglichst rasch ein Handyvideo erstellen, schnell ein Notfall-EEG erbitten und unbedingt auf eine rasche Therapie drängen. Die weitere ursächliche Diagnostik kann parallel umgesetzt werden. Gleichzeitig miteinander oder zügig hintereinander werden die wirksamen medikamentösen Therapien gegen diese schwere Epilepsie eingeführt. Man stellt im übertragenen Sinn die Uhr, um die Phase mit aktiver Epilepsie möglichst kurz zu halten. In aller Regel verstreicht bis zur Diagnose aber wichtige Zeit, das Kind zeigt erhebliche Entwicklungsrückschritte und bleibt anhaltend motorisch und geistig verzögert.

Frühkindliche Absencen (kurze Bewusstseinsausfälle bei Epilepsie)

Kleinkinder können zahlreiche frühkindliche Absencen erleiden und die Bewusstseinspausen bleiben unbemerkt. Die diagnostisch wegweisenden EEG-Veränderungen werden vor allem bei Müdigkeit und im Leichtschlaf deutlich. Ein solches EEG bei irritiertem Kleinkind abzuleiten kann eine schwierige Aufgabe sein. Die Sprachentwicklung betroffener Kinder kann zurückbleiben, Verhaltensauffälligkeiten können entstehen, dem Umfeld erscheinen die Kinder teils als aufmerksamkeitsgestört, teils als autistisch. Manchmal wirkt die medikamentöse Therapie (Valproat) Wunder bei EEG, Verhalten, Entwicklung und Sprache, manchmal wird vor allem das EEG besser, die Entwicklung beschleunigt sich nur gering.

Nick- und Sturzanfälle

Kinder mit frühkindlichen Absencen (Bewusstseinsausfälle bei Epilepsie) können zusätzlich ein plötzliches Absinken des Kopfes zeigen oder eine abrupte Tonusminderung (Spannungsverlust) im Rumpf mit Stolpern oder Sturz (astatische Anfälle). Betroffene Kleinkinder wirken unstet und reizoffen, wenig schmerzempfindlich, die Sprache kann zurückbleiben.

Das schwere frühkindliche Grand mal (große generalisierte Anfälle: länger als 30 Sekunden)

Nach heftigen ersten Fieberkrämpfen treten lang dauernde, seitwechselnd betonte klonische Anfälle (regelmäßige, heftige Zuckungen) ohne Fieber auf oder Anfälle mit schlaffem Kind (atone Anfälle). Rasch entsteht eine motorische und geistige Entwicklungsstörung. Grund ist ein genetisch bedingter Kanaldefekt in Nervenzellmembranen mit vermehrten, spontanen Entladungen. Nicht selten beginnt diese Epilepsieform nach einer Impfung.

Gutartige Herdanfälle im Säuglingsalter (lokaler Ausgangspunkt, jedoch ohne Läsion dort)

Teils isoliert, teils in Serie treten fokale oder generalisierende Anfälle bei Säuglingen und Kleinkindern auf, die durchaus heftig sein können, aber sich rasch und spontan wieder verlieren. Teils rhythmisches Zucken einzelner Gliedmaßen, teils ungewöhnliche Blässe mit starrem Blick und Versteifung des Körpers, teils mit Erbrechen oder Blaufärbung der Lippen. Einige genetische Ursachen der gutartigen fokalen Säuglingsepilepsien sind bekannt, bislang ohne klare therapeutische Hilfe. Während der Anfallsphase misslingt oft die sichere Zuordnung zu einer gutartig verlaufenden Epilepsie – ganz sicher ist man oft erst Jahre später.

Epilepsien als Impfkomplikation

Die bislang benannten Epilepsien und Anfallsformen können im zeitlichen Zusammenhang zu Impfungen auftreten. Zahlreiche Familien sind sich deshalb ganz sicher, dass die Impfung ihr Kind geschädigt hat. Die innerfamiliären kausalen Zuschreibungen der Epilepsie zu erfragen und zu verstehen, ist wichtig. Die Familienrealität kümmert sich nicht um die wissenschaftliche Logik. Es ist wissenschaftlicher Konsens, dass ein gesundes Kind ohne genetische Krankheitsanlage durch eine Impfung keine Epilepsie erwirbt. Dieser Konsens wird von zahlreichen Familien nicht mitgetragen.

Absencen (Bewusstseinsausfälle) des Schulalters

Sie können ab dem sechsten Lebensjahr auftreten, oft am Tag, mehrere Hundert, immer kurz und unter 30 Sekunden. Der Blick wird leer, manchmal kurze Lidzuckungen, ein kurzes Verharren. Oft entsteht ein Filmriss, der aktuelle Gedankengang verlischt. Im EEG bei Hyperventilation sind die typischen Ausbrüche gut zu erkennen. Die Therapie gelingt in den allermeisten Fällen, aber die Kinder brauchen oft ein Jahr, um an die früheren Schulleistungen anzuschließen. Während der Absencen gelten sie öfters als lernbehindert mit falschen Schulentscheidungen, erhalten die Diagnose Aufmerksamkeitsstörung (Träumerlesyndrom) und gelangen verspätet ins EEG.

Fokale Anfallsformen

Herdförmige Anfälle können sich sichtbar ausbreiten: erst der Finger, dann die Hand, dann der Arm. Zucken beide Arme im Sinne der Generalisierung, geht das Bewusstsein verloren. Der herdförmige Beginn kann sehr verschieden sein, ist jedoch immer kurz. Ein komisches Gefühl, Gerüche, Licht, Kribbeln, Versteifung, Zuckungen – je nach Enstehungsort des einfach fokalen Anfallsbeginns. Anfälle nur im Schlaf sind möglich mit ungewöhnlichen Bewegungsmustern.

Epilepsieursachen

Immer mehr mögliche Ursachen werden gefunden. Grundsätzlich finden sich übererregbare Nervenzellen, die abnorme Signale aussenden und andere Nervenzellen damit „anstecken“. Genetisch verursachte Membranveränderungen, Transmitterstörungen, Rezeptorkrankheiten, Architekturstörungen, Antikörper, Entzündungen, Durchblutungsstörungen oder direkte Verletzungen, Netzwerkprobleme. Man hofft, irgendwann eine präzise, auf die Ursache fokussierte Therapie anbieten zu können, seit vielen Jahren vergeblich.

Die medikamentöse Epilepsietherapie

Sie erhofft sich Anfallsfreiheit ohne relevante Nebenwirkungen, aber keine Heilung durch Therapie. Eltern und Kinder erhoffen ein möglichst frühes Ende der täglichen Saft- oder Tabletteneinnahme. Die ambulante Dosissteigerung erfolgt langsam, Nebenwirkungen sollen nicht der Hektik geschuldet sein, sondern relevante und unvorhersehbare Komplikationen anzeigen. Wird sorgfältig und kleinschrittig eindosiert, so sind Nebenwirkungen ungewöhnlich und auf alle Fälle kurzfristig kontrollbedürftig. Manche Epilepsien kommen mit niedriger Dosis zurecht, manche brauchen immer viel und hohe Spiegel. Die Familie muss auf die begrenzten Erfolgsaussichten vorbereitet sein. Die vielen Blutkontrollen, empfohlen in den Beipackzetteln, sind unnötig und belastend, sie schützen nicht wirklich vor den Risiken. In den letzten 30 Jahren hat sich die Erfolgsquote der Medikamente kaum verbessert.

Die Lebensbegleitung

Neben der ungenügenden Therapie werden Kind und Familie mit Einschränkungen konfrontiert: Insbesondere Jugendliche mit Epilepsie erfahren Einschränkungen in Schule, Beruf und Freizeit: Tauchen, Klettern, Segelfliegen, Skispringen, Pferdesport und Motorsport scheiden mit anhaltenden Anfällen aus; Schwimmen geht nur mit Begleitung und im öffentlichen Schwimmbad, nicht im Baggersee. Zu Hause gilt: Dusche statt Wannenbad und Tür nicht abschließen. Generell gilt: wenig Alkohol, keine Drogen und Führerschein erst nach einem Jahr ohne Anfall. Fast jeder Jugendliche reduziert versuchsweise einmal die Tabletten, viele Eltern versuchen das auch.

Die Epilepsiechirurgie

Wird die Epilepsie durch einen fassbaren Herd verursacht, so kann dieser seit den frühen 1990er-Jahren chirurgisch entfernt werden. Die notwendigen Vorbereitungen sind umfangreich, denn die Operation soll Sprache, Motorik und Denken nicht massiv stören. Die Erfolge können wunderbar sein: Die Epilepsie wird geheilt und die Medikation kann abgesetzt werden, die sozialen Möglichkeiten nehmen zu, manchmal bessern sich sogar die kognitiven Funktionen. In gut 30 % jedoch gelingt der Plan nicht oder nur teilweise und etliche Epilepsien erweisen sich im Rahmen der notwendigen Voruntersuchungen als multifokal, also inoperabel.

Der plötzliche, unerwartete Tod bei Epilepsien

Über 10 % aller Epilepsiepatient:innen sterben am plötzlichen, unerwarteten Tod. Besonders hoch ist das Risiko bei mentaler oder motorischer Behinderung, sehr aktiver Epilepsie insbesondere mit nächtlichen und tonischen Anfällen, medikamentöser Polytherapie und langer Krankheitsdauer. Man soll Eltern und Jugendliche auf das Risiko hinweisen, auch wenn diese oft fragen, was sie mit dieser Hiobsbotschaft anfangen sollen, weil es ziemlich unmöglich ist, sich auf dieses Risiko einzustellen. Einige Kliniken, z. B. die Charité in Berlin, verordnen inzwischen Überwachungsgeräte.

Der Status epilepticus

Ein anhaltender Krampfanfall ergibt ein Schädigungsrisiko und ist ein medizinischer Notfall: beim tonisch-klonischen Anfall mit heftigen Muskelzuckungen und großer Hirn- und Kreislaufbelastung rascher als bei Serien kurzer tonischer Anfälle. Bei anhaltenden Dämmerzuständen, einem sogenannten Status minor, kann man von außen wenig erkennen. Das Kind wirkt verhangen und unkonzentriert. Der Zustand kann Tage anhalten. Ein bioelektrischer Status kann sich ausschließlich im Schlaf ereignen und wird nur im Schlaf-EEG erkennbar. Das Kind schläft ohne jede erkennbare Veränderung. Ein solcher nächtlicher Status kann jede Nacht wochen- und monatelang auftreten mit erheblichen Entwicklungs- und Verhaltensstörungen als Folge.

In Tierversuchen fanden sich nach 30 Minuten klonischem Anfall erste bleibende Schädigungszeichen. Ein Status epilepticus lässt sich nicht leicht beenden, die Intensivstation und risikoreiche, hoch dosierte Medikamente werden erforderlich, die Beatmung und Intensivüberwachung erfordern. Dramatische, nicht behebbare Anfallszustände bei zuvor gesunden Kindern sind möglich, teilweise nach einfachen Virusinfekten und nach dem sechsten Lebensjahr. Manchmal finden sich ursächlich Antikörper, manchmal eine Encephalitis (Hirnentzündung). 30 % aller Anfallsstatus ereignen sich ohne Epilepsiekrankheit zuvor. 5 % der Patient:innen sterben.

Anfallsverdächtige Phänomene

Bei jeder erheblichen Störung der Nervenzellversorgung mit Glucose, Sauerstoff oder Energie wird die Rindenfunktion und damit das Bewusstsein beeinträchtigt. Die lebenswichtigen basalen Zentren für Atmung und Kreislauf halten viel länger durch. Entweder entsteht in solch einer Versorgungskrise eine Ohnmacht oder zusätzlich oder sofort ein tonischer oder klonischer Gelegenheitsanfall mit Zuckungen oder einer Versteifung von Körper und Extremitäten. Diese Anfallsphänomene gelten als harmlose Gelegenheitsanfälle und gehen nicht in eine Epilepsie über. Typische Beispiele sind die Affektkrämpfe der Kleinkinder, die Ohnmachten bei starkem Vagusreiz durch Übelkeit, Schmerz, Schreck oder langes Stehen, die kurzen, frühen Anfälle bei leichtem Schädel-Hirn-Trauma. Jede Synkope kann einen Gelegenheitsanfall auslösen.

Bei Migränen sind (halbseitige) Schwächezustände möglich mit Sensibilitätsstörungen wie beim epileptischen, fokalen Anfall oder beim Schlaganfall. Weiterhin kann die Aura der Migräne zu Sehminderungen führen, Fehlwahrnehmungen oder abruptem Schwindel (Dauer: ca. 30 min). Sehr selten kann während der Aura auch ein epileptischer Gelegenheitsanfall auftreten (Migräne-Epilepsie-Syndrom). Besonders dramatisch kann eine Basilaris-Migräne verlaufen mit anhaltender und rasch einsetzender Bewusstlosigkeit.

Auch sind funktionelle oder psychogene Anfälle möglich, also nicht epileptische, unterbewusst sich aufbauende anfallsartige Phänomene, besonders häufig bei Kindern und Jugendlichen die auch „echte“ epileptische Anfälle haben. Die Trennung in epileptisch oder psychogen beschäftigt die Epilepsiekliniken und führt trotz Video-EEG nicht immer zu klaren Ergebnissen.